Werke des britischen Bildhauers Tony Cragg sind im Ernst-Barlach-Haus im Jenisch Park zu sehen. Seine Holzskulpturen sind ein Wunder der Statik.

Hamburg. Auf den ersten Blick sehen die Objekte von Tony Cragg aus wie schwebende Riesen, gigantische Termitenhügel oder verwachsene Bäume. Die scheinbar aus einem Block gehauenen Plastiken entpuppen sich als elliptische, akribisch aufeinandergestapelte, teils verschraubte und akkurat abgeschliffene Ringe. Bevorzugtes Material ist Holz. Die Formen ziehen den Betrachter magisch an. Ihre Aura des Unerklärbaren fasziniert.

Zwölf der anamorphotisch aufgeladenen Raumkörper sind bis zum 30. September in der Schau "Against the grain", was so viel heißt wie "gegen den Strom", im Ernst-Barlach-Haus zu sehen. Zwei von ihnen schmücken den Jenischpark. Sie brauchen Platz, um zu wirken. Die Skulptur "Luke" (2008) etwa dominiert einen ganzen Raum. Mit einem schmalen Fuß und einem nach oben hin ausladenden Körper ist sie ein Wunder der Statik. Sehr massiv wirkt auf den ersten Blick "Ever After" (2010).

In den ausladenden Schichtungen sind mehrfach Gesichter erkennbar. Sie stellen einen Bezug zur Sphäre des Menschlichen her, sollen aber Andeutung bleiben. Mal sind sie auch widerborstig wie in "False Idols", eine von zwei extra für die Schau angefertigten Skulpturen. Neckisch ragt da eine Auswölbung gen Himmel. "Tony Cragg ist ein Meister des Zwischenraums, der hybriden Mischung", sagt Museumsdirektor Karsten Müller. "Er versucht mit den Dingen im Dialog zu bleiben."

Einblicke in das Gedankenuniversum Craggs liefern ausgewählte Zeichnungen und Aquarelle. Sie verdeutlichen eine Verschiebung von Figurativem zu Gefäßformen. Zeigen Formetüden des Steigens und Fallens, einen Mix aus Mikro- und Makrokosmos mit Gestalten, die mal an Binärstrukturen des Computers oder an Nervenverästelungen erinnern. Manche offenbaren in humoristischen Entwürfen eine spielerische Fantasie.

Die Schau, die dem kleinen, feinen Kunsttempel der Reemtsma-Stiftung im 50. Jubiläumsjahr einen absoluten Höhepunkt beschert, ist mehr als eine Retrospektive. Cragg setzt seine Skulpturen in einen bewussten Dialog mit der bestehenden Skulpturensammlung des deutschen Expressionisten Ernst Barlach (1870-1938). Auf den ersten Blick gibt es wenig, was die beiden Künstler verbindet. Auf der einen Seite Barlach, der religiös geprägte Expressionist, auf der anderen Cragg, der sich für seine Objekte von naturwissenschaftlichen Mikro- und Makrostrukturen inspirieren lässt. Es eint sie die Faszination für eine Dynamisierung und für das Material Holz, das sie sehr unterschiedlich einsetzen. Dabei arbeiten beide mit industriell vorgefertigten Schichthölzern.

1949 im britischen Liverpool geboren, zählt Anthony Cragg zu den weltweit bedeutendsten Bildhauern der Gegenwart. Zuletzt waren seine Arbeiten bei Einzelausstellungen im Pariser Louvre, in Peking oder Lugano zu sehen. Cragg ist hochdekoriert mit allen wichtigen Kunstauszeichnungen, Turner-Preisträger und seit 2008 Rektor der angesehenen Kunstakademie Düsseldorf.

In Wuppertal, wo er seit Jahren lebt, hat er 2008 den Skulpturenpark Waldfrieden eröffnet. Das friedliche Gelände rund um die Villa des Lackfabrikanten Kurt Herberts, der in den Zeiten der Verfemung Künstler unterstützt hat, hat Cragg zu einem visionären Kunstgelände gestaltet. Kaum zu glauben, aber wahr: Die Schau "Against the grain" ist die erste Ausstellung seiner Werke in Hamburg. Eine Chance, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Tony Cragg: "Against the grain" bis 30.9., Ernst-Barlach-Haus, Jenischpark, Baron-Voght-Straße 50a, Di-So 11.00-18.00; Infos im Internet: www.barlach-haus.de und www.tony-cragg.com