Ein Gespräch mit Friede Springer: Zuhörerin, Vertraute, Ehefrau des Verlegers Axel Springer

Am 2. Mai wäre der Verleger Axel Springer 100 Jahre alt geworden. Seine Frau erinnert sich an die Jahre an der Seite eines außergewöhnlichen Mannes und spricht über die Bewahrung seines Lebenswerks.

Hamburger Abendblatt:

Vor 100 Jahren wurde Ihr Mann geboren. Es muss seltsam für Sie sein, dass der Mann aus Fleisch und Blut, den Sie kannten und liebten, eine Person der Zeitgeschichte geworden ist, die fast jeder Deutsche beim Namen kennt: Axel Springer.

Friede Springer:

Für andere ist er eine Person der Zeitgeschichte. Für mich ist er nach wie vor gegenwärtig, nach wie vor. Jeden Tag denke ich an ihn und träume immer wieder von ihm.

Er ist bei Ihnen?

Er ist bei mir. Ich lebe nach wie vor mit ihm.

Axel Springer hatte wohl ein herzliches Verhältnis zum Vater und vergötterte die Mutter Ottilie, eine Goethe-Liebhaberin. Ihr Motto: "Das Leben ist nichts als ein Weg, um etwas zu werden." Das Elternhaus war hanseatisch-bürgerlich, liberal im Geiste. Ihr Vater war Gärtnermeister auf der Nordseeinsel Föhr. Wer und was hat Sie geprägt?

Axel Springer hatte ein gutes Verhältnis zum Vater, aber kein herzliches. Die wichtigste Person war eindeutig die Mutter. Sie war die bestimmende Person, den von Ihnen zitierten Spruch schrieb sie anlässlich seiner Konfirmation in Axels Gesangbuch. Für mich war mein Vater die wichtigste Person. Er war streng, aber ich habe ihn verehrt. Wir mussten früh mithelfen in der Gärtnerei. Meine Mutter war 100 Prozent Liebe, sie tat alles für uns fünf Kinder. Ich komme aus einer intakten Familie und habe gute Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend.

Sie wollten immer weg von der Insel, warum?

Das war so, auf der Insel konnte man einfach nichts werden. Alleine aus der Klasse meines älteren Bruders gingen fast alle in die USA. Es gab keinen anderen Weg, um etwas aus seinem Leben zu machen. Trotzdem liebe ich die Insel Föhr.

Sie waren eine junge Erwachsene in einer Zeit, die man die Swinging Sixties nennt. Es gibt Fotos, da sehen Sie mit Ihrer blonden Mähne aus wie ein Model, geradezu mondän. Wie waren Sie damals? Sie lebten in London, in einer Freundinnen-Wohngemeinschaft in Madrid, in Gstaad. Was haben Sie gelesen, welche Musik haben Sie gehört?

Natürlich habe ich die Beatles gehört. Ich verehre sie nach wie vor. Das ist meine Generation, Paul McCartney wird dieses Jahr auch 70. (lacht) Ich liebe ihre Musik und habe alle CDs. Und mein Lieblingslied ist nach wie vor "Yesterday". Ich bin ein Kind dieser Zeit, habe London geliebt. In Madrid lebte ich mit einer Freundin im Haus ihrer Tante. Wir haben das Leben genossen, feierten Partys, hatten tolle Freunde, kauften schöne Klamotten, trugen Minirock und lange Haare. Das gehörte dazu. Aber wir haben keine Drogen genommen, sind nie auf die schiefe Bahn geraten, waren auch nicht politisch. Nein, es war einfach eine unbeschwerte, fröhliche Zeit. Ach, und ich las, was ich in die Hände bekam: besonders die großen Amerikaner: Steinbeck und Hemingway. Bücher gehören für mich zum Wichtigsten im Leben.

Und dann wurden Sie Erzieherin, erst beim Kieler Bürgermeister Hans Müthling, dann lange bei einer Familie im Rheinland und schließlich im Hause Springer in Hamburg. Sie erinnern sich wie im Brennglas an die erste Begegnung mit Axel Springer.

Ich stand in der apfelgrünen Halle des Hauses, und er kam die Treppe herunter. Er zögerte, kam dann langsam auf mich zu, gab mir die Hand, ging danach zum Auto, das mit Chauffeur vorm Haus auf ihn wartete. Diesen ersten Blick werde ich nie vergessen.

Axel Springer, der Frauenheld, gerade die vierte Ehe in der Krise, verguckt sich in Sie. Das hat Sie lange irritiert, oder?

Nein, überhaupt nicht. Unser Verhältnis war zuallererst geprägt durch sein Interesse am kleinen Sohn, den ich betreute. Das schob er immer vor, wenn er mich anrief oder wir uns trafen. Er wollte alles über seinen Sohn wissen und fragte mich manchmal um Rat. Ich realisierte gar nicht, dass er eigentlich mich meinte. Erst als er mich dann einmal, als ich freihatte, mit dem Hubschrauber auf Föhr besuchen kam, da dachte ich dann schon: Hallo, Hallo?! So zart fing das an. Er hat richtig um mich geworben, sich für alles, was ich machte, tat und dachte, interessiert, auch für meine Familie. Er verhielt sich ganz vorsichtig und war galant. Das hat mich unglaublich beeindruckt.

Da waren die Stimmen derer, die in Ihnen nur eine weitere Affäre sahen. Man nannte Sie "Fräulein Riewerts". Hat Sie das verletzt?

Nein. Ich mochte meinen Namen Riewerts. Wir waren elf Jahre zusammen, bevor wir geheiratet haben.

Wilde Ehe war in konservativen Kreisen damals verpönt. Und zugleich lebten Sie in einer Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche, des "anything goes", der Respektlosigkeit der Jugend den Älteren gegenüber. Sie beschreiben die zarten Bande zwischen sich und Ihrem späteren Mann als etwas Besonderes.

Wir haben uns so gut verstanden, nie gab er mir das Gefühl, nur eine Affäre zu sein. Klar, ich war schüchtern, still, zurückhaltend. Aber nie war ich nur Geliebte, ich lebte schließlich mit ihm in seinen vielen Häusern, ich gehörte dazu, ich wurde geachtet. Als Axel Springer 1978 dann zu mir sagte: "Ich kann dieses Fräulein Riewerts nicht mehr hören. Wir heiraten!", kam das so überraschend, dass ich fast vom Stuhl fiel.

Was liebte und schätzte Axel Springer besonders an Ihnen?

Ich kümmerte mich 100 Prozent um ihn, das gefiel ihm. Ich war eine gute Zuhörerin und ich lernte dazu. Das Verlagsgeschäft habe ich am Frühstückstisch, am Mittagstisch und beim Abendessen mit aufgesogen. Im Urlaub lasen wir gemeinsam Bücher und unterhielten uns darüber. Das kannte er nicht, dass sich jemand derartig mit ihm auseinandersetzte und beschäftigte, intensiv und auf gleicher Augenhöhe.

Axel Springer, der "geborene Verleger", wie ihn Tim von Arnim in seinem neuen Buch über Ihren Mann nennt, war in den 60ern schon auf dem Zenit seiner Macht. Er hatte nach dem Ende des Krieges instinktschnell gehandelt, "Bild" und "Hörzu" erfunden, dazu das Hamburger Abendblatt kreiert und die "Welt" gekauft. Er verdiente viel Geld, und seine Zeitungen erschienen in Millionenauflage. Axel Springer war Deutschlands erfolgreichster Verleger mit euro-päischer Ausstrahlung. Wie ging er damit um?

Er war nicht größenwahnsinnig, wie man vielleicht denken könnte. Er hat das einfach so hingenommen, hielt es für selbstverständlich. Er war nun einmal ein Mann mit Fortüne. Als er Ende der 50er in Berlin mit der Ullstein-Familie verhandelte, wurde er von ihr "König Midas" genannt. Was er anfing, wurde zu Gold. Das beschreibt seinen Erfolg sehr gut. Schließlich hat er das Zeitungslesen neu erfunden.

Der Optimismus Axel Springers, der unbedingte Glaube an die Einheit Deutschlands, wird heute gelobt und oft auch als Selbstverständlichkeit angesehen. Damals aber wurde Ihr Mann wie kaum einer in Deutschland zur Hassfigur, zum Buhmann, wie er selber sagte. Die Studenten bekämpften ihn, weil seine Zeitungen mit teils auch drastischen Worten die Studentenunruhen und deren Linksradikalismus ablehnten. Aber auch Verleger wie Augstein, Bucerius, einst ein Freund, oder Jahr sen., die dem Konkurrenten den Erfolg vielleicht neideten und ihm monopolistische Tendenzen vorwarfen, traten gegen ihn an. Sie wollten seinen Verlag zerschlagen sehen. Wie wurde Ihr Mann mit allem fertig?

Das war schwierig. Er hat sich viele Gedanken darüber gemacht, warum sein Erfolg so abgelehnt wurde. Es wurde ja immer behauptet, er hätte zu viel Einfluss und zu viel Macht. Das empfand er nicht so. Und doch musste er dann Teile des Verlags verkaufen, die großen, erfolgreichen Zeitschriften wie "Eltern" und "Jasmin", im Rheinland den "Mittag". In den 60ern konnten wir noch ungehindert spazieren gehen, niemand erkannte meinen Mann. Langsam wurde das anders. Auf jeder Brücke, an jeder Hauswand stand irgendwann: "Enteignet Springer!"

Die Geschichte hat Ihrem Mann recht gegeben: Wir haben heute die Einheit, Berlin ist Hauptstadt und auch die Sowjetunion ist nicht mehr. Woher hat Axel Springer die Kraft genommen, sich gegen die damalige Stimmung zu stellen?

Er hatte ein Ziel, das Beste für sein Vaterland zu erreichen. Aber auch für das russische Volk. Unsere beste Freundin Irina war Russin, die Eltern stammten aus Sibirien. Sie musste uns immer davon erzählen. Gemeinsam waren wir auch bei Solschenizyn in Vermont. Unvergesslich, dieser Tag. Wie die beiden Männer sich ähnlich sahen, die gleiche Figur, die gleiche Moral. Das baute meinen Mann innerlich unglaublich auf. Immer wieder fand er Menschen, die auf einer Wellenlänge waren mit ihm, die seine Gedanken teilten.

Was halten Sie im Nachhinein für seine größte Schwäche?

Ach, ich habe ihn geliebt. Ich habe die Schwächen übersehen.

Was bewunderten Sie am meisten an ihm?

Er hatte diesen feinen, besonderen englischen Humor. Er konnte unglaublich gut erzählen. Und er konnte verdammt gut tanzen. Mit so einem Mann zusammenzuleben, das war für mich ein einziges Geschenk.

1978 machte Axel Springer Ihnen einen Heiratsantrag. Dann waren Sie Frau Springer. War das eine Erleichterung? Fühlten Sie sich endlich anerkannt?

Natürlich habe ich mich gefreut, Ernst Cramer und Claus-Dieter Nagel waren Trauzeugen, im selben Jahr noch heirateten wir kirchlich. Und in jeder Kirche, die wir dann auf unseren Reisen besuchten, haben wir uns die Hand am Altar gegeben und haben unsere Ehe, wo wir nur konnten, neu besiegelt. Er war da wie ein Kind.

Seine vorherigen Ehen endeten ja auch alle nicht so glücklich.

Er hatte zu jeder Phase seines Lebens die richtige Frau. Wie mich auch.

Sie, die so gut mit Kindern konnten, durften keine haben. Er wollte Ihre ganze Aufmerksamkeit. Haben Sie ihm das nicht nachgetragen?

Das war ein großes Opfer für mich. Ich liebe Kinder. Aber ich wusste, dass das nicht gut gehen würde. Er wollte meine Aufmerksamkeit. Und er wusste, hätten wir ein Kind, würde ich es niemals an ein Kindermädchen abgeben. Dafür kannte er mich zu gut. Heute habe ich elf Patenkinder, ich genieße das sehr.

Ihr Mann hatte vier Ehen hinter sich, drei Kinder und vier Enkelkinder. War er ein Familienmensch?

Nein, war er nicht. Er kümmerte sich, aber eher mit zu großen Geschenken. Mehr, um seine Pflicht zu tun, aber um die Erziehung sorgte er sich nicht.

Dann folgte 1980 der Freitod seines ältesten Sohnes. Sie nannten ihn den "kleinen Axel". Hat sein Tod Ihrem Mann das Herz gebrochen? Nun wollte er den Verlag verkaufen, er sagte, er hasse seinen Beruf. Wie haben Sie die Zeit verkraftet?

Vom Selbstmord seines Sohnes hat er sich nicht mehr erholt. Seine Gesundheit litt, er war deprimiert, in sich gekehrt. Und zog sich immer mehr aus dem Verlag zurück, wir waren viel in Schleswig-Holstein oder auf Patmos, das tat ihm gut, weil wir da ohne Personal und ohne Sicherheitsleute sein konnten. Einfach nur für uns. Er saß im Garten und las, fast ausschließlich religiöse Bücher, oder wir machten kleine Spaziergänge. Er machte sich Vorwürfe, dass er sich nicht genug gekümmert habe. Aber sein Sohn war ein erwachsener Mann, 38 Jahre alt. Der Junior hatte als Erwachsener Mumps bekommen und war sehr krank gewesen, danach wohl in eine Depression gerutscht. Ich verstand mich gut mit ihm, wir waren im gleichen Alter, ich hatte ihm mehrfach geraten, er solle in Behandlung gehen. Er sagte: "Friede, zu einem Beknackten-Doktor gehe ich nicht." Er war ein begabter, lustiger, vergnügter Mensch. Und doch so traurig.

Niemand aus dem Verlagsumfeld oder in der Branche hat Ihnen zugetraut, nach dem frühen Tod Ihres Mannes im Jahr 1985 dessen Erbe anzutreten. "Du machst das schon, Friede", hatte Ihr Mann zu Ihnen gesagt. Was hat Ihnen Kraft gegeben?

Bei schwierigen Verhandlungen im Aufsichtsrat, als Leo Kirch noch mit am Tisch saß, schaute ich direkt auf ein Foto meines Mannes. Manchmal, wenn es heikel wurde, schaute ich rüber, und es schien mir, als stärke mein Mann mir den Rücken, und ich hörte: "Mach weiter!"

Sie mussten Erbstreitigkeiten mit der Familie klären und erkennen: Es gab keinen Familienzusammenhalt. War das eine Enttäuschung? Warum gibt es so oft in Familien mit Geld diese Kämpfe?

Wir waren in dem Sinne ja keine gewachsene Familie, sondern mussten plötzlich Familie spielen. Das konnte nicht gut gehen. All die Jahre hatten wir nur losen Kontakt. Es musste also auseinanderdividiert werden. Ich musste dabei auf vieles verzichten, etwa auf Gut Schierensee, was mir besonders lieb war. Das war schwer. Aber ich kann gut loslassen, verkaufen, weggehen und mich nicht mehr umdrehen. Am Ende haben wir das ganz gut hingekriegt.

Sie waren die Retterin und Hüterin des Lebenswerks Ihres Mannes. Hatten Sie manchmal Lust, alles hinzuschmeißen?

Natürlich war ich manchmal verzweifelt, habe eine Nacht durchgeweint, fühlte mich ganz alleine gelassen. Aber irgendwas am Morgen hat mir wieder Kraft gegeben. Ich wollte weitermachen. Nennen Sie es meinetwegen Mut. Ehrgeizig bin ich eigentlich nicht. Aber alles hat mich doch gereizt. Ich wollte es auch dem Herrn Kirch beweisen.

Warum sitzt eine Frau wie Sie nicht auf Sylt, legt die Beine hoch und genießt die Sonne?

Bloß nicht. Das ist doch langweilig! Solange ich klar denken kann, möchte ich arbeiten. Ich freue mich jeden Tag, ins Büro zu kommen. Ich möchte nicht morgens aufwachen und nicht wissen, wie ich den Tag verbringen werde.

Gehen Sie oft an das Grab Ihres Mannes?

Ja, das tue ich. Bringe Blumen hin. Aber er ist viel mehr in meinen Gedanken. Und doch ist es gut, dass man diesen Ort hat.

Lesen Sie noch die Papier-Zeitung oder auf dem iPad?

Natürlich habe ich ein iPad. Aber ich bin immer noch ein totaler Zeitungsmensch. Ich muss sie in die Hand nehmen, rascheln hören. Ich erledige digital schnell, was ich machen muss. Aber dass ich ewig im Internet surfen würde? Nein. Da lese ich doch lieber Bücher.

Sie werden im Sommer 70. Was ist Ihr größter Traum?

Dass alles so bleibt, wie es ist. Ich bin zufrieden und glücklich mit meinem Leben.

Am 2. Mai im Hamburger Abendblatt: die 48-seitige Sonderbeilage zum 100. Geburtstag des Verlegers Axel Springer