Irrsinnig, fesselnd, komisch: Wie oft werden die Schauspieler “Fuck your Ego“ im Thalia Gaußstraße spielen können, ohne verletzt, erkältet oder ausgelaugt zu sein?

Hamburg. Bewundernswert, diese sieben Schauspieler, die sich knapp drei Stunden auf der Bühne verausgaben. Sie exerzieren, übergießen sich mit Wasser, einer landet kopfüber in einer halb gefüllten Tonne, zwei springen als Pferde durch den Raum, es wird Wäsche gewaschen, Holz gehäckselt, mal ist Bockspringen angesagt, mal werden ellenlange Monologe gehalten, man streitet über die gerechte Verteilung von Essen und darüber, ob Schnaps erlaubt ist (ist er nicht), man prügelt sich aus Neid und Eifersucht, man spielt als Roboter verkleidet Theater, wischt den Boden oder durchpflügt Späne anstelle eines Kartoffelackers. Es gibt viel zu tun. Das Leben hier ist kein Streichelzoo. Die Truppe lebt in einer Kolonie und arbeitet mit vollem Einsatz an der historischen Utopie vom besseren Menschen. Am Ende hat man den Eindruck, an einem irrsinnigen, komischen, fesselnden Unternehmen teilgenommen zu haben. Alle sind erschöpft, Zuschauer wie Schauspieler. Wie oft werden sie "Fuck your Ego" im Thalia Gaußstraße spielen können, ohne verletzt, erkältet oder ausgelaugt zu sein?

Das Stück, das die festivalerprobten estnischen Theatermacher Tiit Ojasoo und Ene-Lis Semper inszenierten und ausstatteten, hat eine selbst verwaltete Kolonie im Russland der 20er-Jahre zum Thema, die der sowjetische Reformer Anton Makarenko beschrieb. Alle sind gleich. Oder etwa nicht? "Fuck your Ego" heißt frei übersetzt "Nimm dich nicht so wichtig".

Klamauk, Kommunismus und Kommiss - darum dreht sich alles, manchmal sieht es aus wie Kindergeburtstag. Sebastian Rudolph brüllt "Rechts um", lässt Julian Greis, Bruno Cathomas, Franziska Hartmann, Alexander Simon, Sebastian Zimmler und Birte Schnöink marschieren und die Bühne wischen. Aber weil man es ja mit Schwererziehbaren zu tun hat, gibt's Probleme mit der Disziplin.

Julian Greis beschwert sich. Er sei so groß, da brauche er doch viel mehr zu essen als die kleine Birte Schnöink. Später sieht man, wie sie ihm heimlich etwas abgibt. Alle Schauspieler sprechen sich mit ihren Namen an, Rudolph soll erklären, warum sein Nachname ein Vorname ist. Alexander Simon muss das nicht. Der wiederum trommelt sehr hübsch beim Marschieren: Schön gesungen wird auch. Da klingt dann "Macarena" wie Makarenko.

Wenn das Kollektiv entscheidet, dass Schnaps verboten werden soll, aber nicht jeder mitmachen will, wenn es zu wenig anzuziehen gibt und einer ein T-Shirt klaut, dann werden Straflektionen erteilt, gibt's Klassenkeile. Zimmler fängt sich Ohrfeigen ein, bekommt einen glühend roten Kopf. Cathomas wird die Hose heruntergezogen. Er muss sich für seinen dicken Bauch entschuldigen, wo doch die anderen hungern. Hartmann und Schnöink spielen die wunderbarsten Pferde, die man je auf einer Bühne gesehen hat, sie springen, schnauben, scharren, schmiegen sich an, sprinten davon. Die kleine Schnöink mit dem dicken Cathomas auf dem Rücken - ein Bild himmelschreiender Ungerechtigkeit. Rudolph hält einen Wahnsinnsmonolog über die Sechs-Felder-Wirtschaft, Cathomas irrlichtert über linken Widerstand.

Der Abend ist eine aufregende, unterhaltsame, mutig konsequente Ansammlung von tollen Nummern über das schwierige Leben miteinander, über das Scheitern des Kommunismus und anderer Träume. Er zeigt Wettkampf, Leid, Ausgrenzung, Macht und Widerstand in lebhaften Bildern und toller Körperchoreografie. Nie langweilig, selten nervig, meist amüsant. Theater, wie man es selten sieht.