Hamburg. Die Fotografie sei der ästhetische Sündenfall gewesen, "sie hat der Sprache einen großen Verlust zugefügt", das sagte die Dramatikerin, Essayistin und Romanautorin Marlene Streeruwitz Dienstagabend beim 9. Kulturdiskurs im Bucerius-Kunst-Forum. Im aufgefächerten Medienzeitalter des 21. Jahrhunderts glaubt die Österreicherin Streeruwitz trotzdem weiter an die Kraft der Sprache: "Die strikteste Form bleibt der Text."

Diskutiert wurde auf dem Rathausmarkt über "Engagement. Von der Wirksamkeit radikaler Aufklärung". Eingeladen hatten die Veranstalter NDR Kultur und "Zeit"-Stiftung dazu den Literaturwissenschaftler Ralf Schnell, der auf die Tradition engagierten Schreibens verwies: Man kann sie bei Luther (die Bibel-Übersetzung als theologisches Unterfangen!) beginnen lassen, sie beinhaltet Namen wie Thomas Müntzer (dem berühmten Flugschrift-Verfasser aus den Bauernkriegen) und Heinrich Heine. Und Günter Wallraff: Der "Fachmann für unterschlagene Wirklichkeiten" (Moderator Stephan Lohr) und Enthüllungsautor nutzt anders als Marlene Streeruwitz auch andere Medien als das Wort - der Beweispflicht wegen.

"Ich will mit meiner Arbeit etwas bewirken", sagte der 69-Jährige, zu dessen Arbeiten die Recherche im Gastarbeiter-Alltag "Ganz unten" und das Buch über die Arbeit der "Bild"-Redaktion in den 70er-Jahren zählen. Die "Welt am Sonntag" hatte am Wochenende unter Berufung auf ihr vorliegende Unterlagen berichtet, dass sich die Hinweise darauf verdichteten, ein Mitarbeiter Wallraffs habe als Stasi-IM gearbeitet. Dazu sagte der Autor am Dienstag im Bucerius-Kunst-Forum: "Dass mein Mitarbeiter ein 'Topagent' gewesen sein soll, ist Blödsinn. Ich habe erst nach der Wende von einer Stasi-Mitarbeit des Mannes erfahren." Er selbst sei nach der Wolf-Biermann-Ausbürgerung 1976 eine unerwünschte Person in der DDR gewesen, so Wallraff.

Von den Verstrickungen oder Nichtverstrickungen des Autors abgesehen, steht seine Literatur eindrucksvoll für den Form-Aspekt des literarischen Engagements: Wo Wallraffs Texte operativ eingreifen, nimmt sich Marlene Streeruwitz in Romanen wie "Die Schmerzmacherin" die Freiheit, fiktiv zu sein. Ihre Texte sind anders als die Wirklichkeit Versuchsanordnungen - und als solche im Grunde jederzeit veränderbar.

Eine Aufzeichnung des Abends mit Günter Wallraff und Marlene Streeruwitz läuft am 29.4., 20.05 Uhr, auf NDR Kultur