Satirische, zeitgemäße Farce von Stefan Vögel: Im Ohnsorg-Theater feiert die Komödie um die Dessous-Boutique “Lütt Paris“ eine viel belachte Premiere.

Hamburg. "So viel Theater um Kleidung, die man gar nicht sieht." Rentnerin Hanna bringt die Aufregung über die Dessous-Boutique "Lütt Paris" in Stefan Vögels Komödie auf den Punkt, die im Ohnsorg-Theater am Sonntag Premiere hatte. Sind es nicht gerade die Landeier, die beim Bummel über die Hamburger Reeperbahn noch auf anderes scharf sind als auf Lack- und Leder-Korsagen? Die bietet Hannas Freundin Martha in ihrem neu eröffneten Geschäft noch nicht einmal an. Sie betreibt nur mit hübscher Reizwäsche einen bald florierenden Handel, was die männlichen Sittenwächter über die Dorfgemeinschaft in Borderup noch echt empört. So eine sexy Lingerie-Bagatelle kann nur ein Kaff in Südschleswig auf den Kopf stellen.

In Rolf Petersens Fassung wie in Vögels Stück nach dem Drehbuch des Schweizer Kinohits "Die Herbstzeitlosen" geht es jedoch um etwas mehr: Vier Frauen über 60 nehmen noch mal ihr Leben in die Hand, verwirklichen alte Träume oder neue Pläne und zetteln couragiert einen Generationen- und Geschlechter-Kampf an. Die eigentlich verzopften Alten erweisen sich als die modernen Jungen. Somit liegt die Komödie im Trend, denn Senioren spielen in jeder Hinsicht eine immer wichtigere Rolle in der Gesellschaft.

Zwar nimmt der Autor das Thema ernst, er schrieb jedoch kein Strindberg-Drama, sondern eine satirische, zeitgemäße Farce. Hans Helge Otts vergnügliche Inszenierung auf der Drehbühne des Ohnsorg-Theaters lässt es allerdings zuweilen an spöttischer Schärfe, an zugespitzter Komik und dem nötigen Tempo fehlen. Die Aufführung pendelt sich etwas betulich auf die gemütliche Bummelei der rotierenden Scheibe und der (unnötigerweise) im Film gezeigten Regionalbahn ein, bekommt aber nach der Pause mehr Schwung.

Zufällig fällt Marthas Freundin Lilly beim Ausmisten des Lebensmittelladens eine Schachtel mit Miederwaren in die Hände. Martha hat sie in ihrer Jugend genäht und träumte von einer Boutique auf den Champs-Élysées. Die Idee von "Lütt Paris" ist geboren. Nun gehen die Freundinnen daran, sie zu realisieren.

Wäre da nicht Marthas Sohn, der Pastor. Walter geht zwar fremd mit Shirley (Meike Meiners), wütet aber ununterbrochen gegen den "Sex-Laden". Manfred Bettinger predigt im Brustton der Überzeugung das genaue Gegenteil von dem, was er praktiziert. Füreinander und miteinander sollte die Gemeinde leben, doch sein Christentum endet bei der eigenen Mutter. Er schreckt auch nicht vor Einbruch und Diebstahl zurück, um die "sündige" Reizwäsche zu entsorgen. Der bigotte Tugendbold hat nur ein Herz für seine Bibelstunden und das Chorfest.

Die paar Schwächen von Otts Inszenierung gleichen Félicie Lavaulx-Vrécourts liebevolle Ausstattung und die glänzende, typgerechte Besetzung der zentralen Frauencharaktere aus: Die "Amerika-Lilly" mit dem frechen Mundwerk und Pioniergeist gibt Uta Stammer als schrillen Paradiesvogel auf dem Lande. Tizianroter Schopf, Pailletten-Shirt und enge Color-Pants. Stets hat sie eine treffsichere Pointe parat oder spricht ein wahres Wort gelassen aus. Ertappt bei einer Lüge über ihre Vergangenheit, zeigt Stammer aber auch Lillys weichen, verletzlichen Kern unter der farbfrohen Knackschale. Die elegante Frieda aus dem Seniorenstift legt Edda Loges schnittig und schnippisch an. Mit dem frisch erworbenen Internet-Wissen und der Hilfe ihres verschmitzten Schweizer Verehrers Urs (Wolfgang Sommer) unterstützt die forsche "Dame aus dem Altersheim" den bald bis nach Indien expandierenden globalen Korsagen-Handel.

Martha mit den frivolen Nadelkünsten ist Herma Koehn. Sie spielt die Witwe zunächst etwas neben der Spur, aus Trauer über den verlorenen Mann, zieht deren Wandlung aber nicht konsequent genug durch. Sie zeigt zwar die Entwicklung von der erst zögernden zur resoluten Geschäftsfrau, kann sich aber Rührseligkeiten nicht verkneifen: Der Augenaufschlag zum Himmel beim Dialog mit ihrem toten Hans könnte kecker und koketter ausfallen.

Ursula Hinrichs, die Hanna mit dem Hackenporsche, sackt sofort ein, was noch im Laden herumsteht. Dazu das Publikum: Die diebische Elster hat die Lacher auf ihrer Seite. Hanna schafft überraschend ihren Führerschein und setzt sich zur Wehr gegen Sohn Fritz (Till Huster). Der Bürgermeister fürchtet um den Ruf von Borderup, schämt sich aber nicht, seine Eltern gegen deren Willen ins Altenheim abzuschieben. Die Quittung bekommt er beim Chorfest: Das Frauen-Quartett öffnet die Trachten-Mieder und gibt frech preis, was darunter zu sehen ist. Ein vielstimmiges "Ohhhh!" fegt durch das Parkett, gefolgt von Jubel für die liebenswerte weibliche Vierer-Bande.

"Lütt Paris" bis 1.6., Ohnsorg-Theater, Karten unter T. 35 08 03 21; Internet: www.ohnsorg.de