Der “Tatort“-Pathologe, Gefängnisarzt und Autor Joe Bausch weiß, wie es “Im Knast“ zugeht – und erzählt davon heute Abend in Altona.

Hamburg. Das Knastleben oder besser: die Vorstellungen davon, wie jenes beschaffen ist, beruht in der Regel auf einer medial vermittelten Form des Allgemeinwissens. Wir glauben zu wissen, wie es im Gefängnis ist, weil wir aus Fernsehfilmen und dem "Tatort" Szenen mit kleinen Zellen, riesigen Esssälen, Gemeinschaftsduschen und kalten Funktionsräumen kennen. Der Strafvollzug gehört ganz sicher zu den Dingen, die niemand persönlich in Augenschein nehmen will. Weshalb über das Eingesperrtsein und den knallharten Existenzkampf im Gefängnis viele Mythen und Legenden existieren; viele "gute" Geschichten, die wenn möglich nur den anderen passieren sollen.

+++ Viele Bücher, die die Welt bedeuten +++

In seinem Buch "Knast" erzählt der Gefängnisarzt Joe Bausch viele solcher Geschichten. Er berichtet aus dem Inneren der Anstalt: Seit er 1987 in der JVA Werl (Nordrhein-Westfalen) als Mediziner anfing, hat er netto zwölf Jahre hinter Gittern gebracht. Dabei sammelte sich ein Erfahrungsschatz an, der unserem Bild vom Leben im Gefängnis etwas schärfere Konturen zu geben vermag als das, was die Flimmerkiste wiedergibt. In der ist Bausch übrigens auch regelmäßig zu sehen.

+++ Hamburg liest - Lesetage mit und ohne Atomstrom +++

Im Kölner "Tatort" spielt er den Pathologen Dr. Joseph Roth, der die Ermittler Schenk und Ballauf mit frischen Erkenntnissen über das Ableben der obligatorischen Opfer versorgt. Mit Todesfällen hat Bausch, Jahrgang 1953, auch im Hauptberuf zu tun. Allerdings ist es dort seine Aufgabe, ebendiese zu vermeiden, wenn die kranken (oder oft: eingebildet kranken) Delinquenten seine Knastpraxis konsultieren. Knapp 70 000 Menschen sind in deutschen Gefängnissen eingesperrt. Bausch hat nicht wenige von ihnen kennengelernt, Biografien von Scheiternden und Gescheiterten. "Der Knast ist die Realität, ein Spiegel der gesamten Gesellschaft", schreibt Bausch in dem unterhaltsam und anschaulich geschriebenen Buch.

Wenn er vom Geruch des Gefängnisses berichtet, einer Mischung aus Bohnerwachs, Eintopf, kaltem Zigarettenrauch, Schweiß, angebranntem Essen und Kernseife, dann weiß man, dass die Wirklichkeit hinter den dicken Mauern eine fremde, ungeahnte ist. In Gefängnissen wird nicht gelüftet.

Die Bauart der unwohnlichen Verschlusstrakte spiegelt sich in der Architektur der Lebensläufe: Die inhaftierten Patienten erzählen dem Arzt von ihren ungemütlichen Existenzen, in denen kaputte Familien und berufliche Misserfolge einen Lebenswandel unmöglich machen, den wir als normal oder bürgerlich bezeichnen.

Bausch wird zum Beichtvater: Einmal schildert ihm ein Sträfling, der in seinem ersten Leben selbstständiger Unternehmer war und von Ganoven gelinkt wurde, seinen kriminellen Werdegang. Durch unglückliche Umstände wurde vom rechtschaffenen Zeitgenossen einer, der sich mit der Giftmüllmafia einlässt. Als Bauernopfer geht der Mann in den Knast; er schützt seine Hintermänner, die eigentlichen Gangster, um seiner Frau und der neugeborenen Tochter ein unbeschwertes Leben zu gewährleisten. Nach einem Jahr im Knast bringt er sich um.

Ein Gefängnisarzt muss sich nicht nur mit körperlichen Gebrechen, sondern auch mit psychischen Erkrankungen auseinandersetzen. Suizidgefährdet sind etliche unter den Inhaftierten, und nicht selten hängt dies auch mit der Suchtproblematik hinter Gittern zusammen. Hier setzt die Kritik des Fachmanns an: Denn stationäre Behandlungsplätze für Drogen- oder Alkoholabhängige sind in deutschen Gefängnissen nicht vorgesehen.

Die Verbesserung der Haftbedingungen in den vergangenen Jahrzehnten ist dennoch evident: Das Lazarett des Zuchthauses ist einer modernen Krankenstation gewichen. Auf der wird nach den Gesetzen des Knasts gearbeitet: Bausch ist nie allein mit seinen Patienten. Die benutzen den Doktor, um Frust abzubauen: Gegen Bausch gehen jährlich Dutzende von Strafanzeigen wegen angeblich falscher Behandlung ein. Es herrschen raue Sitten im Knast, von denen die Bediensteten nicht verschont werden. Wie viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, offenbart der TV-Pathologe und Regierungsmedizinaldirektor Joe Bausch hie und da ein gewisses Maß an Eitelkeit, wenn er seine Beobachtungen und Erfahrungen schildert. "Knast" spart nicht mit autobiografischen Elementen. Dennoch ist es dazu angetan, die unbekannte Materie "Knast" Gestalt werden zu lassen.

Joe Bausch Lesung aus "Knast" (Ullstein, 19,99), heute, 19.30, Kulturgut Gaußstraße (Bhf. Altona, Bus 2), Gaußstraße 190, Karten 7,-