Neues Album “Sweet Heart Sweet Light“: Jason Pierce und seine Band Spiritualized vermählen auf ihrer neuen Platte wieder Rock und Gospel.

Die korrekte Bezeichnung für die Musik, die Jason Pierce macht, sollte "Rock'n'Roll Gospel" sein. Pierce rückt heute selten ohne Orchester und Sängerinnen an, nennen wir das solcherart entstehende klangliche Gebilde also ruhig: Bombastsound. Der 1965 geborene Brite denkt ganz bestimmt nicht, dass weniger manchmal mehr ist; natürlich ist mehr immer besser. Seine Band Spiritualized, deren einziges festes Mitglied er selbst ist, ist eine weit ausholende Unternehmung, und ihre Stücke sind die Wagner-Opern unter den Popsongs.

Und so stapelt Pierce, der auch unter dem Namen J. Spaceman unterwegs ist, auf seiner neuen, ganz und gar fantastischen Platte "Sweet Heart Sweet Light" wieder Chöre und Bläser, Streicher und Gitarrenbretter aufeinander, dass es eine Art hat. Dieses Album ist eine vollkommen erfreuliche Angelegenheit - vielleicht auch deswegen, weil man mit einem neuen Geniestreich des Popgewaltigen nicht mehr gerechnet hatte. Pierce veröffentlichte sein bislang letztes Album "Songs in A&E" vor fünf Jahren, zusammen mit "Amazing Grace" (2003) bildet es die bescheidene Phase des Meisters: Jedenfalls gerieten die Songs nicht mehr so größenwahnsinnig wie auf dem triumphalen 2001-Album "Let It Come Down", auf dem Pierce 115 Orchestermusiker einsetzte.

Ganz so viele sind es auf "Sweet Heart Sweet Light" nicht, monumental muten die neuen Stücke dennoch an. Und das, obwohl Pierce das Tempo gleich mit dem ersten Song "Hey Jane" kräftig anzieht. Das neunminütige Stück ist ein stupender Bluesrocker mit weiblichem Backgroundgesang und Velvet-Underground-Gitarren, ein fesselndes Stück von epischer Länge im Geiste sehr gegenwärtiger Rastlosigkeit - Jane ist immer unterwegs.

"You living fast lane life right away/Got no place for your rotten life/A heart like yours is never satisfied", singt Pierce atemlos. Das Video zu "Hey Jane" ist, wie zuletzt im Falle der amerikanischen Künstler Arcade Fire und Kanye West, ein ausgewachsener Kurzfilm geworden. "Little Girl", das Stück nach "Hey Jane", ist ein leichtfüßiger Popsong mit schwelgendem Chor, Bläsern und Streichern, ein Amalgam aus Rock, Soul, Gospel, Jazz und nahe der Perfektion. Feedback-Gewitter beschließt dagegen den dick die Backen aufblasenden Song "You Get What You Deserve". Lieblichkeit konnte man Pierce nie vorwerfen, obwohl seine kräftig intonierten Hymnen im Breitwandformat des Gefühlsüberschwangs nicht entbehren: "Too Late" und das kolossale "So Long You Pretty Things" sind reich instrumentierte, pathetische Songs, die nur Pierce so hinbekommt.

Man käme nie auf die Idee, ihn wegen Zeilen wie "Freedom is yours if you want it" und schwülstige Songlinien zu schelten - bei deutschen Pophelden wie Silbermond oder Westernhagen ist das anders. Wie immer dürfte das auch an der Sprachbarriere liegen, besonders aber an Pierces nicht kleiner Kunst, große Gefühle in große Melodien zu packen. Alles in allem also ein äußerst gelungenes, die irdischen Prüfungen transzendierendes Album, auf dem Pierce "Oh Lord" und "Help Me Jesus" barmen darf, ohne dass es nervt.

Bevor Spiritualized den Gospel entdeckte, war sie die beste Spacerock-Band des Planeten, also Repräsentanten ebenjener Spielart des Pop, die psychedelisch und "spacig", futuristisch und schwerelos daherkam: paradoxerweise durch den Einsatz ziemlich schwerer Gitarren. Pierces erste Band hieß Spacemen 3, und auch mit der entwarf er das Gegenprogramm zum in den 80er-Jahren schlimm kursierenden Melodic Rock.

Vor einigen Jahren war Pierce schwer krank. Eine beidseitige Lungenentzündung raffte ihn fast dahin. In seinen jungen Jahren gab Pierce überzeugend den Drogentypen - dafür muss er seinem Körper jetzt Tribut zollen. Während der Aufnahmen zu "Sweet Heart Sweet Light" wurde eine Leberkrankheit diagnostiziert, die ihn zur Einnahme von Medikamenten zwang. Den Ärzten dankt er im Booklet der CD: Es geht ihm gut derzeit. Seine zwölfjährige Tochter Poppy steuert ihren Part im Hintergrundchor mancher Songs bei. Damit ist sie Teil von Jasons Pierces ganz persönlichen Erlösungsgesängen.

Spiritualized: "Sweet Heart Sweet Light" (Domino); www.spiritualized.com