Katharina Schüttler ist ab 20.4. im Arte-Vierteiler “Gelobtes Land“ zu sehen

Es war das Jahr 1984. Das Jahr nach Nenas größtem Hit. Das Jahr nach "99 Luftballons". Der Held des Kindergartens konnte jedes Wort mitsingen und war als Leadsänger für die Playback-Darbietung des Songs auf der Weihnachtsaufführung auserkoren worden. Ich durfte immerhin die Bassgitarre spielen, bestehend aus einer Holzlatte, aufgenagelter Keksdose und Bindfaden zum Zupfen, wackelte stoisch von links nach rechts, während unsere Kindergärtnerin in knallenger Jeans in Eighties-Manier tanzend in die Hände klatschte. Zu Weihnachten wünschte ich mir natürlich die Maxisingle und die Enttäuschung war groß, als unter dem Geschenkpapier Gianna Nanninis "America" zum glanzlosen Vorschein kam.

Gianna Nannini!? Wie jetzt!? Meine Eltern hatten für Nena wahrlich weniger als nichts übrig und vermutlich die berechtigte Befürchtung, von nun an nichts anderes mehr zu hören zu bekommen. "America" und mein Plattenspieler sollten sich nie kennenlernen. Dennoch war und blieb es meine allererste Platte und sie begleitet mich bis heute.

Vor einiger Zeit war ich auf einer Vernissage eines italienischen Künstlers. Im Anschluss wurde ihm zu Ehren ein Essen gegeben. Als auch die letzten Gäste fast gegangen waren, stolperte ich leicht angeheitert aus der Tür und mir stolperte etwas angeheiterter in die Arme: Gianna! Es musste sofort aus mir heraus: "America" war meine erste Platte. "Wunderbar!" krächzte Frau Nannini, schlug sich mit der ganz speziellen Gianna-Energy auf die Brust, galoppierte stolz durch den Laden, griff sich ein wohl als Wandschmuck dienendes Zupfinstrument und gab uns einen recht bizarren und ganz und gar herrlichen "America"-Gig, der bis zum Morgengrauen dauerte. So legte mir DJ Zufall diese Platte doch noch auf. Dass ich mir einst eigentlich Nenas "99 Luftballons" gewünscht hatte, sollte an diesem Morgen besser mein Geheimnis bleiben.