Das Waliser Trio verweigert sich den Auswüchsen der Gegenwart und klingt dennoch modern – live am 16. April in der Hamburger Markthalle.

Hamburg. Manchmal wundert sich Nicky Wire, warum es die Manic Street Preachers noch gibt. "Viele Bands, die vor 20 Jahren mit uns angefangen haben, existieren schon lange nicht mehr. Oder sie spielen ihre Alben von damals komplett nach. Als wären sie ein lebendes Museum", sagt der Bassist des Trios aus Wales. Für Wire ist es undenkbar, dass er zusammen mit seinen Bandkollegen James Dean Bradfield (Gitarre, Gesang) und Sean Moore (Schlagzeug) auf Tour gehen würde, um zum Beispiel nur "Generation Terrorists", das Debüt aus dem Jahr 1992, aufzuführen. Die Manics haben versucht, sich einerseits musikalisch zu entwickeln, andererseits aber ihren kritischen Blick auf gesellschaftliche Zustände nicht zu verlieren.

2010 brachten die Manics ihr zehntes Studioalbum "Postcards Of A Young Man" heraus, gleichzeitig musikalische Rückbesinnung, Heldenverehrung und Kommentar zu den Auswüchsen der Massenmedien und des Internets. "A Billion Balconies Facing The Sun" heißt einer dieser Songs, in dem Nicky Wire die mit Satellitenschüsseln vollgestellten Balkone beschreibt, über die eine Vielzahl von Informationen in die Haushalte kommt. "Doch viele dieser Informationen sind Lügen. Aus einer Lawine von Missinformationen wird plötzlich die Wahrheit. Das ist schlimm", sagt er. Zurzeit arbeitet die Band bereits am nächsten Album, das den Arbeitstitel "70 Songs Of Hatred And Failure" trägt und auf dem sie musikalisch den nächsten Haken schlagen. Die "Postkarten" aus dem Titel des vorherigen Albums verdeutlichen, dass die Manic Street Preachers eine Band aus einer anderen Zeit sind. Nicky Wire zum Beispiel kommuniziert nicht über E-Mails, James Dean Bradfield liebt es bis heute, handgeschriebene Urlaubsgrüße zu versenden.

"Unsere Haltung hat sich gegenüber früher nicht geändert", sagt Bradfield, der Songschreiber und charismatische Sänger der Band. "Wir stammen aus der Arbeiterklasse. Da hält man anders zusammen. Vielleicht ist das auch ein Grund, warum sich all diese Mittelklasse-Bands irgendwann auflösen." Ihre politisch linksorientierte Einstellung gehört ebenfalls zu den Alleinstellungsmerkmalen der Manic Street Preachers. Möglicherweise war die Gruppe deswegen in den USA niemals erfolgreich. Andererseits darf sie sich rühmen, als erste Rockband vor ein paar Jahren auf Kuba gespielt zu haben, und Fidel Castro höchstpersönlich besuchte sie in ihrer Garderobe.

Ursprünglich bestand die Band aus vier Musikern. Richey James Edwards war Rhythmusgitarrist der Manics, doch am 1. Februar 1995 verschwand er aus einem Londoner Hotel. Das Auto des an Depressionen leidenden Musikers wurde später gefunden, Edwards hat wohl ein paar Tage darin gelebt, doch seitdem verliert sich seine Spur. Im Jahr 2008 erklärte seine Familie ihn für tot, für seine Freunde aus der Band existiert er weiter. Immer noch wird ein Teil der Einnahmen auf ein Sperrkonto gelegt, sodass Edwards über Geld verfügen könnte, wenn er wieder auftauchen würde. Im Jahr 2009 veröffentlichten die Manics das Album "Journal For Plague Lovers" mit einigen Songs und Texten von Edwards. Auch bei ihren Konzerten erinnert die Band stets an ihr verlorenes Mitglied und hält es so am Leben.

Das war vor einem Jahr beim einzigen Deutschland-Konzert der Manics in der Hamburger Markthalle nicht anders. Der Geist von Richey Edwards bleibt auch 17 Jahre nach seinem Verschwinden präsent. Vor diesem Hamburger Konzert waren die Waliser lange nicht mehr in Norddeutschland gewesen, lediglich ein Festival-Auftritt beim Hurricane steht zu Buche. Doch nach dem ausverkauften Konzert vor elf Monaten haben Bradfield, Wire und Moore ihre Liebe zu den deutschen Fans neu entdeckt. Denn das Hamburger Publikum war schlicht aus dem Häuschen.

Manic Street Preachers Mo 16.4., 20.00, Markthalle (U Steinstraße), Klosterwall 9-21, Karten zu 30,65 im Vvk.; www.manicstreetpreachers.com