Jeder kennt Maja. Aber kaum jemand weiß, wer sie vor 100 Jahren erfunden hat. Ihr Schöpfer Waldemar Bonsels gilt trotz seines Welterfolgs als einer der vergessenen Schriftsteller - und als umstritten

Vor gar nicht allzu langer Zeit, in den 1920er- und 1930er-Jahren, ist Jakob Ernst Waldemar Bonsels, geboren am 21. Februar 1880 im holsteinischen Ahrensburg vor den Toren Hamburgs, einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller. Seine Werke erzielen zum Teil Millionenauflagen, zu seinen Lesungen strömen Menschen in Massen, und er hat das für einen Schreiberling unverschämte Glück, sich bereits mit seinem ersten Buch, das in 40 Sprachen übersetzt werden wird, finanziell unabhängig zu machen. Die Welt steht ihm nun offen. Doch dies nutzt er auf eine Weise, die ihn zu einem der rätselhaftesten und widersprüchlichsten deutschen Schriftsteller werden lässt - und zu einem der unbekanntesten.

Die Erfolgsgeschichte beginnt mit einer jungen, aufmüpfigen und mutigen Biene namens Maja, der Bonsels, ein "Naturliebhaber", ein paar haarsträubende Abenteuer auf den pelzigen Leib schreibt. Diese Maja entspricht zunächst in keiner Weise dem Bild der stets fleißigen Honigbiene. Lieber will sie die Welt erkunden und tauscht ihren gemütlichen heimischen Bienenstock mit einem Astloch. Auf ihren zahlreichen Ausflügen trifft sie allerhand Tiere, lernt deren Eigenheiten kennen und hört von ihnen verschiedene spannende Dinge über den Menschen. Dann verfängt Maja sich im Netz einer Kreuzspinne, aus dem sie jedoch von einem Mistkäfer in letzter Sekunde befreit wird. Schließlich gerät der neugierige Plüschmors in die Gefangenschaft der Hornissen. Doch Maja kann fliehen und fliegt zu ihrem Volk zurück, um es vor dem bevorstehenden Angriff der Hornissen zu warnen. Dementsprechend vorbereitet können die Bienen die nun folgende Schlacht für sich entscheiden, und die ehemals Abtrünnige wird zur Beraterin der Bienenkönigin ernannt.

Auf die Hilfe von Willi oder Flip, dem Grashüpfer, kann Maja da übrigens noch nicht zählen. Denn diese beiden Figuren werden erst viel später während der Konzeption zu einer der erfolgreichsten Zeichentrick-Serien aller Zeiten in den 1970er-Jahren hinzugedichtet werden, von einem Fernsehschaffenden des ZDF.

Und wahrscheinlich ist es hauptsächlich dem Massenmedium Fernsehen zu verdanken, dass Maja einen nahezu 100-prozentigen Bekanntheitsgrad genießt, nicht nur hierzulande, sondern auf der ganzen Welt.

Ohne Frage zählt das Buch aufgrund seiner Langlebigkeit, seiner Popularität und seiner literarischen Qualität zu den Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur. Doch jetzt, da der Tag der Erstveröffentlichung im Jahre 1912 sich zum 100. Mal (und Bonsels Todestag im Jahre 1952 sich zum 60. Mal) nähern, erinnert man sich wieder daran, dass ihr Schöpfer zu den verschollenen deutschen Schriftstellern gezählt werden muss; ob verdient oder unverdient, sollen jetzt neue Forschungen und Aufarbeitungsversuche klären.

"Wenn von Winnetou-Romanen die Rede ist, weiß jeder, dass sie von Karl May geschrieben wurden", sagt Reinhard G. Wittmann, Chef des Münchner Literaturhauses und Mitglied im Stiftungsrat der Waldemar-Bonsels-Stiftung, die 1977 gegründet wurde. "Aber wenn Sie fragen, wer hinter der Biene Maja steckt, ernten Sie zumeist fragende Blicke." Ein Grund hierfür, so der Literaturwissenschaftler, sei vermutlich die Tatsache, dass Bonsels im Universitätsbetrieb keine Rolle spielt, da er als trivialer Autor gilt. Außerdem werde wohl auch seine pathetische, bedeutungsschwangere Sprache als nicht mehr zeitgemäß empfunden. "Bonsels Jugenderinnerungen allerdings sind in einer Sprache verfasst, die sich von seinen übrigen Werken deutlich abhebt. Das kann man heute ohne Weiteres gut lesen."

Aber dann sei da natürlich auch Bonsels ebenso unerklärliche wie auch ungeklärte Nähe zum Nationalsozialismus und Antisemitismus. "Dabei", so Wittmann, "war Waldemar Bonsels nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand ein unpolitischer Schriftsteller. Da halten sich bis heute eine Menge hergeholter Behauptungen. Jedenfalls ist seine gesamte Biografie von Mythen und Widersprüchen durchsetzt."

Einer der eklatantesten Brüche findet sich in Bonsels Autobiografie "Tage der Kindheit", 1931 veröffentlicht, in denen er unter anderem seine Freundschaft zu einem jüdischen Jungen beschreibt und unter anderem erzählt, wie sein Vater stets das Zimmer verlässt, wenn es von seinem Sohn und dessen "Judenfreund" betreten wird. Als Waldemar Bonsels mit 17 Jahren ohne Abschluss das Gymnasium verlässt, arbeitet sein Vater, ein Apotheker und Zahnarzt, in Bethel. Zu diesem Zeitpunkt kann man nur schwerlich vermuten, dass der junge und ziemlich hübsche Waldemar schriftstellerische Ambitionen entwickeln wird. Er absolviert eine Kaufmannslehre, arbeitet zwei Jahre in einer Karlsruher Druckerei und geht schließlich 1903 für die Basler Mission nach Indien. Dort bleibt er jedoch nur wenige Monate und schreibt bei seiner Rückkehr 1904 einen offenen Brief, den er mit "Mein Austritt aus der Baseler Missions-Industrie und seine Gründe" betitelt. Darin prangert er die ausbeuterischen und menschenverachtenden Methoden seines Arbeitgebers an. Er veröffentlicht den Brief im "E.W. Bonsels und Co. Verlag", den er mit seinen Freunden Hans Brandenburg, Bernd Isemann und Carl Strauss in München-Schwabing bereits kurz nach seiner Rückkehr aus Indien im Mai 1904 gegründet hat.

Eine rastlose Zeit beginnt, auch was Bonsels Umgang mit Frauen betrifft. Er gilt als ziemlich eitler, aber eben doch weltgewandter und attraktiver Pfau. Und er gilt als "Womanizer": Er heiratet zunächst Klara Brandenburg, die Schwester eines seiner Geschäftspartner, von der er sich kurz nach der Geburt ihres zweiten Sohnes trennt. Bald danach führt er Elise Ostermeyer vor den Traualtar, durch deren Vater er zur Basler Mission gekommen war. Auch aus dieser Verbindung erwachsen zwei Kinder. Die Familie zieht 1910 nach München in die Villa Isemann in Oberschleißheim, wo Bonsels die Abenteuer seiner Biene zu Papier bringt.

Als sich bereits kurz nach dem Erscheinen des Buches der Erfolg abzeichnet, zieht sich Bonsels aus dem Verlagsgeschäft zurück, 1915 erscheint der nicht ganz so erfolgreiche zweite Teil von Majas Abenteuern mit dem Titel "Himmelsvolk".

Den Ersten Weltkrieg überlebt Bonsels als Kriegsberichterstatter, zunächst in Galizien, später im Baltikum. Von den Tantiemen seiner Bücher kann er sich 1918 ein Haus in Ambach am Ostufer des Starnberger Sees leisten, wo er bis zu seinem Tod 1952 wohnen wird. Seine Frau Elise und seine Söhne ziehen jedoch nicht mit ein, da Bonsels "ein Leben ohne Familie bevorzugt"; die Ehe wird bald darauf geschieden. Mit der Tänzerin Edith von Schrenck zeugt Bonsels noch einen weiteren Sohn, doch er heiratet sie nicht. Schließlich tritt Rose-Marie Bachhofen in sein Leben. Er wird seine langjährige Lebensgefährtin jedoch erst im Jahre 1950 heiraten, als bereits seit einem Jahr feststeht, dass er an Lymphogranulomatose (Morbus Hodgkin) erkrankt ist, an der er am 31. Juli 1952 stirbt.

Seine Witwe ist es dann, die sich lange Zeit dagegen wehrt, dass die moderne Literaturforschung sich dem mittlerweile umstrittenen Schriftsteller nähern kann. Denn Waldemar Bonsels hat in den Jahren der Nazidiktatur mehr oder minder offen starke antisemitische Tendenzen erkennen lassen. Andererseits hat die nationalsozialistische Studentenschaft alle seine Bücher - mit Ausnahme von "Die Biene Maja und ihre Abenteuer", "Himmelsvolk" und "Indienfahrt" - im Rahmen der "Aktion wider den undeutschen Geist" verbrannt: Bonsels darf ab 1933 jedenfalls nicht mehr neue Werke publizieren, einige seiner Bücher gelten wegen der sexuellen Details als "dekadent".

Gleichwohl leidet er keine materielle Not, denn er gehört noch immer zu den am besten verdienenden Literaten in Deutschland. 1933 reist Bonsels nach Capri und verfasst dort ein paar Zeitungsartikel, in denen er von den "Einflüssen fremdstämmigen Bluts auf den "heutigen deutschen Menschen" schwadroniert und - obwohl selbst geschädigt - die Meinung vertritt, die "Bücherverbrennungen seien etwas zu stürmisch, aber von Nutzen" und "der Reichskanzler zeige mit der übernommenen Macht (...) Sachlichkeit und Maß".

Seine Anbiederei bei den braunen Machthabern zeigt Wirkung. Und sein Jugendfreund Hanns Johst, seit 1935 Präsident der Reichs-Schrifttumskammer, hilft ebenfalls tatkräftig mit, die Wogen zu glätten und Bonsels Image zurechtzurücken. Ab Ende 1935 darf Bonsels wieder schreiben - und veröffentlichen. "Aber es wäre zu einfach, Waldemar Bonsels in die Schublade des Nazi-Schriftstellers zu stecken - und vor allem wäre es wohl falsch", sagt Reinhard G. Wittmann, der berichten kann, dass zurzeit ein Berliner Autor an einer umfassenden Biografie arbeitet. Bonsels selbst hat sich zu Lebzeiten übrigens gegen die Vorwürfe stets mit dem Argument verteidigt, sein Antisemitismus sei "höher" gewesen, als es der "niedere" der NSDAP gewesen sei. Bonsels wird bis zu seinem Tod nicht müde werden zu behaupten, er setze sich mit dem Judentum nicht als Antisemit auseinander, sondern als Religionsphilosoph. "Bisher hat sich die Wissenschaft praktisch nur übers Werk der Figur Bonsels genähert", sagt Wittmann, "jetzt ist es an der Zeit, an die Persönlichkeit heranzugehen."

Von alledem unbeeindruckt und politisch unbelastet ist nur eine: die kleine Biene Maja, die auch nach 100 Jahren - inzwischen in allen Medien - fröhlich durch ihre Welt summt.