In seiner chaotischen, von Frauen dominierten Kiezkanzlei brilliert Dieter Pfaff wieder als Anwalt der kleinen Leute. 13 neue Folgen ab heute in der ARD.

Nein, dies ist keine Anwaltskanzlei. Ein Stammtisch vielleicht, ein türkischer Basar, eine Speed-Dating-Agentur, aber dass an diesem Ort Prozesse vorbereitet und Akten studiert werden - das ist völlig unvorstellbar. Wer kommt, hat meist keinen Termin, bleibt aber gern auf einen Kaffee. Oder zwei. Und ach, was sind die Blumen schön. "Kann ja sein, dass meine Kanzlei lächerlich ist, aber das ist genau die Art von Kanzlei, die ich haben möchte", sagt Rechtsanwalt Gregor Ehrenberg (Dieter Pfaff).

Ehrenberg ist "Der Dicke", ein Anwalt, der die Wirtschaftskanzlei gegen die Kiezklitsche getauscht hat, den Gehaltsscheck mit fünf Nullen gegen honorarfreie Dienste für notorisch klamme Mandaten. Seine Klienten sind Schulabbrecherinnen, Rentner, Flüchtlingsfamilien - jene kleinen Leute, für die sich die Justiz in der Regel nicht so sehr interessiert. Und hätte Ehrenberg nicht tatkräftige Hilfe in Gestalt von Kollegin Isa von Brede (Sabine Postel), seiner Assistentin Yasmin (Sophie Dal) und Putzfrau Gudrun (Katrin Pollitt), die Kanzlei hätte den ersten Winter nicht überlebt.

13 neue Folgen zeigt die ARD von heute an auf dem Sendeplatz, auf dem sonst Fritz Wepper radelnden Nonnen das Leben im Kloster schwermacht - und nicht nur im Vergleich mit "Um Himmels Willen" ist "Der Dicke" sehenswert. Die Dialoge sitzen, der Zuschauer wird zwar intellektuell nicht überfordert, aber auch nicht für blöd verkauft, die Figuren sind durch die Bank wunderbar besetzt.

Sabine Postel spielt Rechtsanwältin Isa von Brede ("Ich mache keine Mittagspause, ich habe Termine") mit der ihr eigenen zupackenden Draufgängerattitüde. Die Augenbrauen stets leicht spöttisch hochgezogen, kann sie fluchen wie ein Hafenarbeiter und dann wieder in ihrem Trenchcoat elegante Weltläufigkeit auf dem Kiez verbreiten. Eine wie sie kann auf Elefanten reiten und mit der Queen Tee trinken. Vor allem aber sorgt sie dafür, dass Geld in die Kanzleikasse gespült wird. Pfaffs Ehrenberg ("Ich bewege meine grauen Zellen, das muss reichen") ist der ruhende Pol im unkonventionellen Durcheinander, der leichtes Herzflattern bekommt angesichts der Östrogenoffensive an seinem Arbeitsplatz. "Kann es sein, dass Sie sich heimlich nachts treffen und üben, wie Sie mir auf die Nerven gehen können?", schimpft er an besonders schlimmen Tagen. In Wahrheit fühlt sich der alte Brummbär natürlich pudelwohl mit diesen Frauen, die so gern reden, am liebsten alle gleichzeitig. Räumt das Hinterzimmer aus für Yasmins neugeborenen Sohn, wärmt das Milchfläschchen auf und hat dann leider keine Zeit für den Vermieter, weil die Nachwuchsfütterung nun mal vorgeht. Überhaupt, Vermieter: Die bilden das Schlusslicht auf Ehrenbergs Beliebtheitsskala, knapp gefolgt nur von Gerichtsvollziehern. Dieser Mann glaubt nicht an Zahlen, Fakten und Paragrafen, sondern aller Wahrscheinlichkeiten zum Trotz an das Gute im Menschen (weshalb er fälschlicherweise mitunter als Gutmensch bezeichnet wird).

In der ersten Folge der vierten, komplett von Autor Torsten Näter geschriebenen Staffel (ob es eine fünfte geben wird, entscheidet die ARD erst mit Blick auf die Quoten) vertritt Ehrenberg eine 14-Jährige, die ihren Eltern im Scheidungskrieg das Sorgerecht entziehen will.

Isa von Brede wiederum muss sich gegen die aufdringlichen Annäherungsversuche der Kiezgröße Gerd Matuschek (Uwe Bohm paart welpenhafte Verliebtheit mit modischer Resistenz und Hang zu Himbeertonfarben) zur Wehr setzen. Seine Blumensträuße verwandeln die Kanzlei langsam, aber sicher in einen botanischen Garten, Ausdünstungen inklusive.

Versierte Regisseure wie Lars Jessen und Thomas Jauch fangen die verbalen Ohrfeigen der Viererbande untereinander und die Bratkartoffelgemütlichkeit in der Kanzlei ebenso treffsicher ein wie die Konturen der Stadt: die Latte-macchiato-Schlenderer am Schulterblatt, die hanseatische Eleganz des Atlantic-Hotels, den rumpeligen Charme des Döner-Imbisses, in dem es nach Feierabend stets heißt: hoch die Tassen. Inmitten von alldem thront Ehrenberg wie ein Kiez-Buddha mit goldenem Herzen. Schön, dass er endlich wieder da ist.

"Der Dicke - Hinter verschlossene Türen", heute, 20.15 Uhr, ARD