Die Künstlerin Marta Eggerth-Kiepura stand schon mit Hans Albers vor der Kamera – und auf der Bühne des Hamburger Stadttheaters.

Hamburg. "In Angst zu leben ist das Schlimmste auf der Welt", so beschreibt Marta Eggerth-Kiepura ihre erfolgreichste Epoche: die 1930er-Jahre, eine Zeit, in der Glück und Abgründe dicht beieinanderlagen. Damals bezauberte sie ihr Publikum in mehr als 30 Musikfilmen mit ihrer glockenklaren Sopranstimme und ihrem jungmädchenhaften Charme, den sie sich bis heute erhalten hat. Eggerths Glamour-Faktor damals ist mit dem einer Anna Netrebko vergleichbar, besonders nach ihrer Heirat 1936 mit dem polnischen Startenor Jan Kiepura, den sie 1934 bei Dreharbeiten zu "Mein Herz ruft nach Dir" kennenlernte. Eggerth und Kiepura waren das Künstler-Traumpaar jener Jahre. Und wenn sie von dieser Zeit erzählt, ist das wie ein Eintauchen in eine faszinierende, längst vergangene Ära.

"Sehen Sie, Direktor Clemens Krauss wollte mich 1930 an die Staatsoper als Elevin engagieren. Ich war ein junges Ding. Fünf Jahre sollte ich Repertoire studieren. Eine Ewigkeit, dachte ich, bevor ich da auf der Bühne was zu singen bekomme. Also habe ich dankend abgelehnt!" Kein Wunder, denn bühnenerprobt war sie schon seit ihrem 12. Lebensjahr: "Die einzige Konkurrenz, die ich als ,Wunderkind' hatte, war ein anderes ,Wunderkind' - Yehudi Menuhin!" Der Durchbruch kommt 1930 mit ihrem legendären Einspringen in Emmerich Kálmáns "Veilchen vom Montmartre" in Wien. Da war sie, die gebürtige Ungarin, gerade 17. "Bei meinem Gesangslehrer saß da einmal ein sehr wichtig aussehender Herr. Ich fragte, wer das ist. ,Was? Du kennst ihn nicht? Das ist Richard Strauss!' Er machte mich mit ihm bekannt, mein Herz sank in die Hose. Später wollte er mich unbedingt als Zerbinetta." Doch da hat sie schon einen lukrativen Filmvertrag in der Tasche. Sie gastiert, noch keine 18, als Adele in der legendären "Fledermaus"-Adaption von Max Reinhardt und E.W. Korngold im Hamburger Stadttheater, bevor sie Ende 1930 ihren ersten Film in London dreht. Für den nächsten Film, in dem sie die Animierreiterin Trude verkörperte, kehrte sie nach Hamburg zurück. Titel: "Der Draufgänger" - der Spitzname gehörte Hans Albers als Hafenpolizist. "Hamburg habe ich geliebt! Die wunderbaren Menschen dort! Der Hans Albers war toll und ein ganz lieber Kollege."

Dann ging es Schlag auf Schlag: fünf Filme 1931, sieben 1932, vier 1933, darunter Willi Forsts Welterfolg "Leise flehen meine Lieder". Von Anfang an spielt und singt sie Hauptrollen. Für Fritz Kreislers Operette "Sissy" findet sie da keine Zeit mehr. Der eigens für sie komponierte Part der Kaiserin geht an Paula Wessely, für die die höchsten Töne allerdings von einer Sängerin hinter der Bühne übernommen werden müssen. "The Kreisler Girl" wird Eggerth von der Presse genannt, als sie 1932 in England "Where Is This Lady?" dreht. Das Drehbuch schreibt Billy Wilder, die Musik Franz Lehár - seine erste Tonfilmoperette. "Er schrieb die Musik für drei meiner Filme und sagte mir: ,Meine Liebste, wenn Ihnen etwas nicht gefällt, sagen Sie mir, ich ändere sofort!'"

Lehárs "Zarewitsch" wird 1933 mit ihr und Hans Söhnker verfilmt, 1934 stehen beide für die "Csardaszfürstin" von Lehárs Erzrivalen Emmerich Kálmán vor der Kamera. Dessen Name wird wegen seiner jüdischer Herkunft im Vorspann schon nicht mehr genannt. Von den politischen Veränderungen bekommt Eggerth nicht viel mit, "ich war ständig in Filmateliers und habe wochenlang nicht einmal das Tageslicht zu sehen bekommen". Die "Csardaszfürstin" von 1934 ist bereits der 17. Film der 22-Jährigen.

Dass Eggerth, die einen jüdischen Elternteil hat, damals überhaupt noch in einem deutschen Film mitspielen darf, verdankt sie ihrer großen Beliebtheit und einer Sondergenehmigung. Über ihre Zukunft im Dritten Reich dürfte sie sich kaum noch Illusionen mehr gemacht haben, ebenso wenig wie Kiepura, dessen Mutter auch jüdischer Herkunft war. Beide sind Mitte der 30er-Jahre internationale Stars, Produktionsfirmen reißen sich um sie und finanzieren ihre Filme, die europaweit und in Übersee - vor allem in Südamerika - für volle Kassen sorgen. 1935 ruft Hollywood an. Kiepura dreht bei Paramount, Eggerth ist bei Universal unter Vertrag - und wartet. Doch Universal geht gerade pleite, aus den Filmprojekten wird nichts.

Zurück in Europa, im Olympia-Jahr 1936, gibt sich das NS-Regime tolerant. Es entstehen noch "Das Schloss in Flandern" und "Das Hofkonzert", in der Regie des Hamburgers Detlef Sierck, der in Hollywood als Douglas Sirk Karriere machen wird, dann ist Schluss.

Fortan lebt das Künstler-Ehepaar im polnischen Krynica, wo Kiepura das mondäne Hotel Patria besitzt, in Paris und in Wien. Dort entsteht 1937 ihr wohl erfolgreichster Film: "Zauber der Bohème", eine zu Herzen gehende Version der Puccini-Oper, zumal hier nicht zwei Schauspieler agieren, sondern ein frisch vermähltes Liebespaar.

Ihren 26. Geburtstag feiert Marta Eggerth in den USA. Dort absolviert Kiepura gerade sein erfolgreiches Debüt an der New Yorker Met, als Hitler in Österreich einmarschiert. Ab Mitte 1938 sind in Deutschland alle Kiepura/Eggerth-Filme verboten. Beide kehren noch einmal nach Europa zurück, nach Polen und Frankreich, wo sie am 1. September 1939 von Hitlers Überfall auf Kiepuras Heimat überrascht werden.

Zurück in den USA können beide ihre Karriere fortsetzen - vorerst getrennt. Eggerth dreht in Hollywood, auch mit Judy Garland, ihr Mann singt an der Met. Vielen Freunden helfen sie, in die USA zu emigrieren. Rye, eine Autostunde von New York entfernt, wird zur neuen Heimat. 1943 stehen sie endlich gemeinsam auf der Bühne des Majestic Theatre, in einer Broadway-Produktion der "Merry Widow". Bis zu Kiepuras Tod 1966 werden es an die 3000 Vorstellungen der "Lustigen Witwe", mit der sie nach dem Krieg auch in Europa wieder Triumphe feiern.

Marcel Prawy , Kiepuras ehemaliger Privatsekretär, holt sie in den 1990ern mehrmals nach Österreich, 2002, mit 90, tritt sie bei einer Gala zum 100. Geburtstag ihres Mannes im Theater an der Wien auf. Auf das Operetten-Genre lässt Eggerth nach wie vor nichts kommen: "Ich weiß, wie es war, und ich weiß, wie es heute sein muss. Früher waren die Tempi sehr breit und sehr schön, aber das ist nicht mehr zeitgemäß. Die Tempi müssen heute viel schneller sein", findet sie, bevor sie grundsätzlich wird: "Mich interessiert überhaupt viel mehr das Heute als das Gestern. Schauen Sie, das Leben ist heute so viel besser als damals."