Der gefeierte Brite Tom McCarthy schreibt in seinem Roman “K“ über den Beginn des Informationszeitalters

Erledigt Tom McCarthy am Ende seines Romans "K" den Glauben an die Technik, indem er einen Technikjünger dahinscheiden lässt? Und nimmt er mit dem Tod des Helden, der im weitesten Sinne von den Möglichkeiten menschlicher Kommunikation fasziniert ist, dem Fortschrittsglauben jegliche Grundlage? Als dieser so undurchsichtige und letztlich auch wenig einnehmende Held das Zeitliche segnet, ist der Erste Weltkrieg gerade vorbei und der Zweite deutet sich schon am Horizont an: Europa befindet sich in einem Schwindel, Europa ist nicht gesund.

Wie ein Fiebertraum sind auch viele Teile dieses rätselhaften Romans, es ist der dritte vom Tom McCarthy. Der 1969 geborene Autor ist zu Hause in Großbritannien ein Literaturstar. Bereits für seinen ersten Roman "Remainder" (deutsch: "8 ½ Millionen") bekam der im modernen und postmodernen Schreiben geschulte McCarthy viel Aufmerksamkeit. Er bezieht sich auf die Tradition des Nouveau Roman, auf Beckett und Pynchon. Wir haben es also nicht mit einem ausformulierten Werk zu tun, sondern mit einem prinzipiell offenen, das viele Fährten legt, anspielungsreich ist und zur kreativen Deutungsarbeit einlädt. Um was geht es?

Mehr oder weniger um das Leben des Serge Karrefax, der 1898 in Südengland zur Welt kommt. Der Vater ist ein exzentrischer Wissenschaftler, der mit Schwingungen und Informationstechnologien experimentiert, in der Hauptsache aber eine Taubstummenschule betreibt, in der er einst auch seine spätere Frau unterrichtete.

Serges Mutter ist Französin, und das muss auch so sein, denn eindeutig ist in "K", das für Karrefax, Kappe, Krieg, Kollision, Kohlenstoff, Kokain, Kommunikation stehen kann, nichts; der Roman ist um eine Reihe von Gegensätzen aufgebaut. Im Zeitalter der Nationalstaaten und gesteigerten Patriotismen war es ein großer Unterschied, ob man Franzose oder Engländer ist. Die Mutter jedenfalls betreibt eine Seidenmanufaktur. Altes Handwerk, von den Altvordern überliefert - altmodisch, könnte man auch sagen. Um die Familie herum verändert sich gerade alles. Die Moderne mit ihren Techniken und Erfindungen schwappt in schweren Wellen über die Menschheit: Der Vater arbeitet an Projekten, die unsere heutige Kommunikation vorwegnehmen. Alles ohne Draht und gleichsam durch den Äther.

Die Kinder sind wissbegierig: Serges Schwester Sophie interessiert sich für die Natur, Serge selbst wird von der sich in großen Schritten entwickelnden Fernmeldetechnik und der Suche nach globaler Kommunikation infiziert. Serge und Sophie wachsen in einer seltsam sprachlosen und doch nach zwischenmenschlicher Kontaktaufnahme gierenden Umgebung auf, und dann bringt Sophie sich um.

Serge, der mit einer Glückshaube geboren wurde (die Fruchtblase umschloss den Kopf bei seiner Geburt), wird melancholisch. Und kommt in ein tschechisches Sanatorium, wo der Schleier, der seinen Blick auf die Welt unscharf gemacht hatte, mit einem Male verschwindet.

Er wird Aufklärungsflieger im Ersten Weltkrieg, kommt in deutsche Kriegsgefangenschaft und verfällt der Drogensucht. Von Widsun, dem einflussreichen Freund des Vaters, der beim Militär arbeitet, wird er nach Ägypten geschickt, um ein weltumspannendes Kommunikations- und Übertragungsnetzwerk aufzubauen, das sich über das gesamte Kolonialreich erstreckt. Ein Vorläufer der BBC könnte das sein oder gar des Internets: Was in McCarthys anspruchsvollem Roman rekapituliert wird, ist die Herkunft der Informationstechnologie aus dem Geist des militärischen Denkens.

Das Motivgeflecht in "K" ist dicht gewebt. Trotz einiger Längen - bisweilen lässt sich McCarthy zu sehr vom enzyklopädischen Wissen um die Historie leiten - zieht einen der 2010 für den Booker Prize (die wichtigste Literaturauszeichnung in Großbritannien) nominierte Roman in seinen Bann. McCarthy veranstaltet ein literarisches Vexierspiel, Position bezieht er nicht. Das Buch ist, so entscheidet man nach reiflicher Überlegung, unparteiisch und verdammt weder die Heraufkunft des Informationszeitalters noch feiert es sie. Wenn man "K" allerdings als Bildungsroman liest, geht er ziemlich trüb aus. Das Subjekt, fern jeder weltanschaulicher Ideen, ist nie ganz bei sich und begreift die Realität nur als technisches Spiel. Auf gewisse Weise ist der Roman seelenlos: Der Erzähler verzichtet auf die Innensicht seiner Figuren.

Tom McCarthy: "K". Übersetzt von Bernhard Robben, DVA, 480 S., 24,99