Anna Vinnitskaya ist mit 28 Jahren die jüngste deutsche Klavierprofessorin. Jetzt hat sie ein neues Album eingespielt

Hamburg. Anna Vinnitskaya ist entwaffnend ehrlich. Nein, das Üben hat ihr keinen Spaß gemacht. Dafür hat die Pianistin Musik wohl zu sehr als Teil ihres Alltags wahrgenommen, schon während der Kindheit. Beide Eltern waren Klavierlehrer, ein Großvater Dirigent, zwei Konzertflügel gehörten zum Haushalt in ihrer Heimatstadt Novorossijsk am Schwarzen Meer. Und geübt hat sie, auch wenn erst mit zwölf, 13 Jahren der Kick da war, um wirklich gut zu werden, "man kann ja nicht nur Schokolade essen".

Heute ist Anna Vinnitskaya 28 Jahre alt und seit Oktober 2009 Klavierprofessorin an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater - die jüngste in Deutschland. Sie war schon ernannt, bevor sie ihr Konzertexamen abgelegt hatte. Sie hatte längst tragfähige Beweise geliefert für ihr Können: 2007 gewann sie den 1. Preis beim hoch angesehenen Wettbewerb "Concours Reine Elisabeth" in Belgien und wurde im folgenden Jahr mit dem Leonard-Bernstein-Preis des Schleswig-Holstein Musik Festivals ausgezeichnet.

Seither ist die Russin, die seit 2002 in Hamburg lebt und hier von Evgenij Koroliov unterrichtet wurde, auf internationalen Konzertpodien zu Hause, mit bis zu 60 Auftritten im Jahr. Noch öfter auftreten will sie nicht: "Wenn ich zu viele Konzerte spiele, gehe ich auf die Bühne wie eine gepresste Zitrone und habe nichts mehr zu sagen. So trocken kann ich nicht spielen, ich will dem Publikum etwas geben", sagt sie mit dem warmen Ton, in dem die russische Muttersprache ihr Deutsch färbt.

Gerade ist ihre dritte CD erschienen, Werke von Maurice Ravel - "Pavane pour une infante défunte", "Miroirs", "Gaspard de la Nuit". Für die Vorgängerin, eine CD mit Klavierkonzerten von Prokofiew, hat sie einen Echo Klassik bekommen, für die Ravel-CD kann sie sich schon jetzt mit der Auszeichnung Diapason d'or schmücken.

"Mir geht es nicht nur um schöne Klänge, ich will die Menschen tiefer berühren", sagt die Pianistin, und wer ihre Ravel-Interpretationen hört, spürt, was sie meint: Sie zeichnet kleine Gemälde, erzählt tönende Geschichten, mit meisterhaft leichtgängiger Technik, die sich nie in den Vordergrund drängt, sondern einzig dazu dient, das Klangfarbenspiel Ravel kongenial nachzuzeichnen. Diese Farben hat sie lange erforscht, hat sich in die Briefe Ravels vertieft, um herauszufinden, was für ein Mensch er ist, und sagt: "Impressionismus liegt mir zurzeit sehr nah, da kann ich gleich in die Musik abtauchen, muss nichts zwingen, bin irgendwie gar nicht mehr da."

Und stöhnt ein bisschen über den Musikbetrieb, der von ihr heute schon die Programme für 2014 wissen möchte. "Wer weiß aber, was ich dann für Schwerpunkte haben möchte?" Sie will sich weiterentwickeln, pro Saison zwei Konzerte für Klavier und Orchester einstudieren und ein neues Solo-Programm. Auch Sachen, die ihr nicht sofort liegen, die sie erst entdecken muss.

Nicht ganz einfach neben den Pflichten als junge Mutter, die für ihren eineinhalbjährigen Sohn sorgt und pro Woche zwölf Stunden unterrichtet. Wobei das Vorteile hat, sagt sie. Wenn sie mit ihren acht Studenten neue Werke einstudiert, dann arbeitet sie die immer auch ein bisschen für sich durch.

Wenn sie unterrichtet, erinnert sie sich immer wieder an ihren Lehrer Evgenij Koroliov, selbst Konzertpianist. Koroliov, sagt seine Meisterschülerin, sei ein untheatralischer Lehrer. Und doch: "Ich musste mich oft zusammennehmen, um nicht zu weinen, sein Spiel weckt so viele Gefühle, und er improvisiert direkt aus seiner Seele. Er macht keine Show oder zeigt, wie bravourös er sein kann. Er spielt reine Musik."

Bei ihm, sagt sie, habe sie ihre tiefe Liebe zur Musik entdeckt. Er habe ihr beigebracht, jede Note aus dem Bauch zu spielen, mit Gefühl. "Er hilft mir, meine Ideen zu präzisieren, er arbeitet mit mir in meine Richtung, nach meiner Persönlichkeit." So will sie auch unterrichten. "Jeder muss mit der Musik aus sich selbst heraus sprechen."

Anna Vinnitskaya: "Ravel" Naive/Indigo