Kabarettist Michael Ehnert (“Das Tier in mir“) spielt vom 6. bis 8.4. im Schmidt

1980. Ich bin 13. Mein ältester Bruder hat schon ein Auto, und seine Kumpels können sich nicht entscheiden, ob sie Rocker sein wollen oder Punks. Für mich ist das keine Frage: Mein Irokesenschnitt ist blau, und meine Schülerzeitung heißt "Loblied auf das Chaos", drei von sechs Ausgaben werden von der Schulleitung verboten, ein guter Schnitt. Teenagerjahre im Hamburger Osten zwischen Horn, Billstedt, Mümmelmannsberg und Bergedorf sind sowieso schon hartes Brot, aber als Punk ist das Ganze noch mal 'ne Spur härter. Was Darwinismus ist, weiß ich deshalb schon, bevor er im Bio-Unterricht auf dem Lehrplan steht.

Was mich in dieser Zeit über Wasser hält, sind Bands wie Slime, Sex Pistols, HH-Milch und Daily Terror. Vor allem aber die Razors. Schwerer, dröhnender Punkrock aus Hamburg. Der Soundtrack zum Untergang. Natürlich bin ich nur ein kleiner Keks, und der Rucksack mit meinen Lebenserfahrungen ist quasi noch leer, aber dass die Welt bald untergeht, war mir damals völlig klar: "No Future" und "Apocalypse Now" kann man auf meiner Lederjacke lesen. Aber natürlich ist das nur Folklore: In Wirklichkeit lechze ich nach Leben, nach Pogo-Tanzen und Partys feiern. Ne eigene Band gründen ("Alte Kameraden" hießen wir und ich hab gesungen ... - mein Gott, war ich damals mutig! Aber im Punk geht das!).

Wenn ich heute die Razors höre, schauen meine Frau und meine Söhne mich irritiert an; das wirkt dann immer so wie "Opa erzählt vom Krieg". Pure Verständnislosigkeit. Ich sag dann immer: "Kinders, das müsst ihr hören, wenn ihr mit Irokesenschnitt in der S-Bahn sitzt auf dem Weg in die Korachstraße, und in Nettelnburg steigen zehn gehirnamputierte Skinheads ein, dann kann es keine passendere Musik geben, glaubt mir!"