Im Film spielt Meret Becker oft schrille Kindfrauen, auf der Bühne des Polittbüros singt sie Tom Waits. Hauptsache Kunst - oder wie?

Polittbüro. "Ich hätte", sagt Meret Becker im Feststellungston, "auch Pianistin werden können." Und guckt erstaunt, wenn man lacht. Sie traut sich alles zu. Und fühlt sich veranlasst, noch etwas hinzuzufügen: "Die Begabung war da!" Nun ist sie aber nicht Pianistin geworden. Auch nicht Stepptänzerin oder Hula-Hoop-Künstlerin. Wäre drin gewesen, aber man dürfe sich nicht verzetteln, sagt die 43-Jährige. "Im Prinzip muss ich aufpassen, dass ich nicht zu viel gleichzeitig mache."

Becker gilt als eine der interessantesten Schauspielerinnen ihrer Generation. Früher hat sie fast ausnahmslos die etwas schrägen, bisweilen sogar schrillen Kindfrauen gespielt, aber inzwischen wird sie auch schon mal als Mutter besetzt. "Ich bin sehr wandelbar", sagt sie, "man kann mich auch gut untergehen lassen." Den Beweis hat sie beim Hereinkommen ins alte Café Einstein an der Berliner Kurfürstenstraße gerade erbracht. Da sitzt immer ein bisschen Prominenz herum, doch nach Meret Becker hat sich keiner umgedreht. Diese Anonymität sei meistens angenehm, sagt sie, aber zuweilen sei es eben auch schön, sich durch Blicke verwöhnen zu lassen. Wie auf Kommando setzt sie sich aufrecht hin, und man begreift, es ist bei ihr eine Frage der Körperhaltung, ob sie gesehen werden will oder nicht.

Becker, die in Bremen geboren wurde, aber seit Ewigkeiten in Berlin lebt, ist schon vieles gewesen. Die Geliebte von Veronica Ferres ("Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief"), die Sekretärin von Joseph Goebbels ("Mein Führer - Die wirklich wahrste Wahrheit über Adolf Hitler") oder, ganz einfach, eine pampige Friseuse ("Boxhagener Platz"). Ihr neuer Film, Oskar Roehlers Familienepos "Quellen des Lebens", ist fertig und wird voraussichtlich im Mai in die Kinos kommen.

Aber jetzt kommt erst mal wieder die Musik. Von heute an bis zum 27. März gastieren Meret Becker & The Tiny Teeth im Polittbüro. Das Programm heißt "Berlinoise" und ist ein Streifzug durch fremde und eigene Lieder. Die fremden stammen von Edith Piaf, Tom Waits oder Paul McCartney, die eigenen von ihrem Studioalbum "Fragiles", das sie 2001 mit Buddy Sacher gemacht hat, der bei den Tiny Teeth für Banjo Gitarre und Vocals zuständig ist. Becker selbst traktiert Flaschen, Ratschen, Trichter und Tröten. Und, natürlich, die singende Säge. Eine Original-Feldmann aus dem Jahr 1937. Die haben ihr die Eltern nach ihrem Auftritt in Sönke Wortmanns "Kleine Haie" spendiert. Diese Komödie brachte Becker vor 20 Jahren den Durchbruch. In einer Nebenrolle sah man sie damals als Kleindarstellerin durch München ziehen. "Im Drehbuch stand: Sie hatte die Bratsche zwischen die Beine geklemmt." Das findet Meret Becker heute noch wahnsinnig komisch. "Eine Bratsche!" Weil Wortmann von Instrumenten offenbar sowieso keine Ahnung hatte, hat sie ihm damals den Einsatz der singenden Säge vorgeschlagen. "Ich habe das geübt wie eine Blöde und war traurig, als ich sie wieder abgeben musste, aber Mama hat bei der Filmgesellschaft angerufen und sie zurückgekauft."

Gesungen hat Becker in "Kleine Haie" übrigens auch schon. Friedrich Hollaenders Chanson "Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre". Mit dem zerbrechlichen Stimmchen, das sie immer noch drauf hat. Obwohl sie natürlich ganz anders kann. "Mal setzt sie auf eine krächzende Kopfstimme, mal auf eine kräftige Röhre, mal ist sie verzagt, mal energisch", schrieb ein Kritiker beglückt, nachdem er sie in "Berlinoise" erlebt hatte. "Meret Becker oszilliert einmal mehr zwischen lyrischem Bluegrass und schrägem Südstaatenblues, zwischen kraftvollen Chansons und eruptiv-packender Folklore, zwischen schmelzender Walzerseligkeit und Kunstliedern à la Kurt Weill."

Ihre Singstimme hat Meret Becker professionell ausbilden lassen. Ballettunterricht hat sie auch genommen. Auf Druck der Eltern: Das war gewissermaßen die Erfüllung der Minimalforderung. "Ich hab doch die Schauspielschule verweigert, und darüber gab es zu Hause einen kleinen Disput", sagt sie. Bei der Arbeit geht es Meret Becker immer ums Maximale. Um Kunst, da beginnt es für sie erst. Risiken nimmt sie dabei allemal in Kauf. "Wenn man ganz ernst gucken will, wo die Dinge hinführen, dann muss man auch scheitern können."

Meret Becker & The Tiny Teeth heute bis 27.3., jeweils 20.00, Polittbüro (S/U Hauptbahnhof), Steindamm 45, Karten zu 20,- unter T. 28 05 54 67

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