Stardirigent Andris Nelsons und das CBSO in der Laeiszhalle

Hamburg. Tourneeprogramme von erstklassigen Dirigenten können auch Mogelpackungen sein. Da landen dann schon mal Werke im Reisegepäck, die man auch bei übelstem Reisestress irgendwie hinbekommen kann, ohne sich ernsthaft zu blamieren, aber auch, ohne sich allzu sehr verausgaben zu müssen. Als Publikum sitzt man davor und denkt sich, vielen Dank, aber das wird ja wohl noch nicht alles sein. Die "Four Sea Interludes" aus Brittens Fischer-Oper "Peter Grimes" sind solche Stücke - schwer genug, um einen ersten guten Eindruck zu machen, nicht lang genug, um ihn zu vertiefen.

Natürlich weiß einer wie Andris Nelsons so etwas längst, ein Sturm-und-Drang-Dirigent wie er kennt die Sogwirkung von musikalischen Einstiegsdrogen. Also inszenierte er beim Laeiszhallen-Gastspiel mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO) die vier salzigen Aquarelle mit klarer, genau dosierter Bedrohlichkeit. Nordsee ist auch hier, vor der englischen Ostküste, Mordsee, verkündete die Sturmmusik, es brauste und toste da mit einer Hinterlist durchs Tutti, die beängstigend war und erschreckend schön.

Das lässt sich vom folgenden 4. Beethoven-Klavierkonzert nicht behaupten. Für den Hamburger Etappenstopp hatte man das hiesige Riesentalent Anna Vinnitskaya engagiert. Sie ist schon eine bestechende Virtuosin und Romantikerin, griffsicher, rasant und wohlformend; aber bei der zupackenden Übersicht, die es braucht, um diesem Wiener Klassiker Paroli zu bieten, fehlt es ihr noch an Eigensinn und Eigenartigkeit. Bei diesem Auftritt wurde, um das berühmte Beethoven-Zitat zu verwenden, dem Schicksal nicht in den Rachen gegriffen, sondern nur sanft über den Mittelscheitel gestreichelt, damit es einem bitte nicht allzu wehtut. Der Beifall war dennoch verdient, als Vorschusslorbeeren auf die Zeit, in der Vinnitskaya mit diesem Repertoire ins Unreine kommt und es wirklich kracht.

Nelsons und sein Orchester machten unterdessen alles richtig und blieben in der Konventionsspur. Und damit hinter den Erwartungen zurück, die sie mit Sibelius' Zweiter übertrafen. Hier war Nelsons in seinem Element, und auch das CBSO hat offenbar noch die Sibelius-Meisterleistungen mit seinem früheren Über-Maestro Simon Rattle in den Klangkörper-Genen. Nelsons strebte mit großen Gesten voran, zog große Melodiebögen über die kühle Klanglandschaftsmalerei. Kein Hetzen ins Gefühlige, nur detailscharf modellierte Konturen, wunderbare Bläser, glühende Streicher.

Sibelius' Symphonik, wie Nelsons sie sieht, ist nichts für Schwächlinge. Da wird verwegen geirrt und geduldig abgewartet, bis das erlösende Finale mit Pauken und Trompeten kommt. Den Schlussakkord fing Nelsons mit einer Hand und ließ ihn, als wäre es ein Zaubertrick, im Nichts verschwinden. Danach brach der Applaus los.