Aharon Appelfelds neuer Roman erzählt von seinem unglaublichen Leben

Es ist ein seltsames Gefühl, das dieses Buch beim Lesen erzeugt - man hat das Gefühl, dass es still ist. Es ist so geräuschlos, dass man ganz ruhig wird, schon nach wenigen Seiten.

Eigentlich hat Aharon Appelfeld einmal Erwin mit Vornamen geheißen, er ist in den grünen Hügeln der Bukowina aufgewachsen, dieser unfassbar schönen Landschaft im Karpatenvorland. Als er sieben Jahre alt war, brach der Krieg aus. Seine Mutter wurde von rumänischen Antisemiten umgebracht, mit dem Vater kam er Anfang der 40er-Jahre in ein Konzentrationslager in Transnistrien, damals östlichster Teil Rumäniens.

Dem Achtjährigen gelang die Flucht aus dem Lager, dort hat er seinen Vater zum letzten Mal gesehen. Jahrelang lebte er im Wald, zog mit Räubern umher, landete schließlich in einem Flüchtlingslager bei Neapel und ging nach Palästina - da war er nicht einmal volljährig. So ein Leben aufzuschreiben ist im Grunde unmöglich, und doch hat es Aharon Appelfeld immer wieder getan, gemeinsam mit dem ungarischen Nobelpreisträger Imre Kertèsz gehört der heute 80-Jährige zu den großen Erzählern Osteuropas, die in ihrer Literatur den Krieg, Vertreibung und den Holocaust verarbeiten.

Nur, wie findet man hierfür die Sprache, welchen Ton sollen die Sätze haben? Eine Antwort darauf gibt Aharon Appelfeld in seinem Roman "Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen" - ein autobiografisches Buch, das sich auf die Jahre zwischen alter und neuer Heimat konzentriert; die Jahre, in denen Appelfeld Schriftsteller wird, in denen aus Erwin Aharon wird. Viele jüdische Jugendliche, die nach dem Zweiten Weltkrieg nach Palästina gingen, nahmen hebräische Vornamen an. Es sollte ein Zeichen sein zum Aufbruch, zur Abgrenzung.

Für viele war es aber mehr als das, es war ein Lebensbruch. Nie würden sie erfahren, wie der neue Name sich mit der Stimme ihrer Eltern anhören sollte. An dieser Stelle des Romans lernt man zu verstehen, wie sich diese Jugendlichen tatsächlich gefühlt haben müssen, die ersten Kinder Israels: überall fremd, den Familien entrissen, unsicher, traumatisiert, selbstmordgefährdet. Und doch voller Hoffnung, dass mit dem neuen Namen auch ein neues Leben gemeint war.

Aharon Appelfeld erzählt in einem Ton, der vielleicht irgendwann ausstirbt, das macht dieses Buch unschätzbar wertvoll. Ruhig, fast sachlich schildert er sein Leben zwischen den Welten und seine Träume, wenn ihn wider einmal der Schlaf übermannt. Dann sucht er nach seinen Eltern und einer Sprache, die ihn verarbeiten lässt. Mit seinen Eltern spricht er deutsch, sobald er wach ist, denkt er hebräisch. Um ihn herum entsteht dabei der Staat Israel. Man möchte am liebsten gleich hin und selber spüren, wie es sich dort anfühlt.

Aharon Appelfeld: "Der Mann, der nicht aufhörte zu schlafen", aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler, Rowohlt Berlin, 288 S., 19,95 Euro