Anna Laudere und Edvin Revazov vom Hamburg Ballett proben mit Kevin Haigen John Neumeiers “Kameliendame“

Hamburg. "Es sind keine Schritte in diesem Pas de deux, es ist nur Text, Text, Text", ruft Kevin Haigen im Nijinsky-Studio des Ballettzentrums Anna Laudere und Edvin Revazov zu. Sie probieren die erste Begegnung zwischen Marguerite und Armand in John Neumeiers Ballett "Die Kameliendame". Die Solisten sind ein harmonisches, schönes Paar, nicht nur in Größe und Körperlinien. Sie heiraten im Sommer.

"Schöpf tief Atem, Anna, du bist eine starke Frau", sagt der Ballettmeister, der auf seinem Stuhl die Szene förmlich mitlebt. Jede Geste, Pose und Figur, jeden Schritt hat er im Kopf. Haigen tanzte den Armand mit Marcia Haydée bei der Hamburg-Premiere 1981, seither war er für mindestens 20 Kameliendamen der Coach. Er gibt seine Erfahrung von einer Tänzergeneration zur nächsten weiter und bewahrt so dem Ballett, was kein Videomitschnitt, keine Tanzmitschrift vermitteln können: Die Gestaltung der Rolle im Sinn des Choreografen. "Es geht nicht um eine originalgetreue Kopie der ersten Kameliendame. Es soll eine lebendige, ehrlich empfundene Figur aus der Persönlichkeit der jeweiligen Tänzerin entstehen."

Reiz und Herausforderung der Rolle sind ihre Facetten: "Sie ist eine Kurtisane, sie hat Aids und weiß, dass sie sterben wird", sagt Haigen. Wie damals Tuberkulose ist heute eine HIV-Infektion tabu. "Sie wahrt aber die Maske, gibt das Partygirl und weiß ihre Klientel zu manipulieren." Laudere ergänzt: "Dabei ist sie eine sehr einsame junge Frau, die sich nach aufrichtiger Liebe sehnt." Die Schritte hat Laudere längst per Video gelernt. "So kann ich die Probenzeit mit Kevin nutzen, um an Gefühlen und Situationen zu arbeiten."

Zunächst wehrt Marguerite den jungen Mann ab. Als er ihre Schulter küsst, lacht sie, entzieht sich ihm. "Du dummer, kleiner Bub", liefert Haigen den Subtext. Ihre Zweifel drücken sich in rascher Pirouettenfolge nach vorne aus. "Hysterical!", feuert sie Haigen an. Dann lobt er: "Good Girl." Armand gelingt es, Marguerites Fassade zu durchbrechen. Sie legt die Hand aufs Herz: "Ich bin krank", bedeutet die Geste. Er gibt zu verstehen: "Das macht mir nichts." Der dramatische Wendepunkt in diesem getanzten Dialog.

Jeder Pas de deux in einem Neumeier-Ballett entspricht zwar einem Grand Pas de deux im klassischen Handlungsballett, doch unterscheidet er sich davon: Trotz enormer technischer Anforderungen geht es niemals um Virtuosität. Es sind dramaturgische Schlüsselszenen, in denen sich Konflikte zwischen den Hauptfigurenabspielen.

Als Musterbeispiel dafür gilt auch der "schwarze Pas de deux", die letzte, verzweifelt aufgewühlte Begegnung zwischen den Liebenden im dritten Akt. "Biete ihr deine Seele dar", fordert der Ballettmeister von Edvin Revazov, der vor zwei Jahren auf der China-Tournee sein Rollendebüt als Armand gab. Er hebt Laudere hoch und dreht sie im Kreis. "Das war nahtlos, absolut perfekt", freut sich Haigen. "Seid lyrisch", sagt er. "Neumeier hat doch in diese Szene so viel Poesie und Schmerz gelegt." In der Probe lassen Anna Laudere und Edvin Revazov ahnen: Da begegnen sich nicht nur zwei Liebende, sondern zwei Seelenverwandte im Tanz.

"Die Kameliendame" 17.3., 19.30 Uhr, Staatsoper, Restkarten unter T. 35 68 68