Hamburg. Daheim auf der Insel spielt der Popmusiker Noel Gallagher verlässlich vor ausverkauften Hallen: Der Mann aus Manchester gehört zum nationalen Heiligtum. Natürlich gibt es auch hierzulande eine zünftige Fanschar; Stimmung in der Bude ist jedoch vor allem dann, wenn ein ganzer Schwall britischer Noel-Anhänger den Meister bei seinen Auswärtsspielen begleitet. Beim Konzert in der Alsterdorfer Sporthalle waren Hunderte Supporter da - wie überhaupt bei Konzerten englischer Bands regelmäßig trinkfeste Abordnungen aus dem Vereinigten Königreich in Hamburg einfallen.
Gallagher, seit Herbst Solo-Künstler und strahlender Oasis-Überlebender, spielte zu Beginn seines Sets zwei Oasis-Songs: "(It's Good) To Be Free" und "Mucky Fingers". Das erste Stück muss man als Kommentar des älteren Gallaghers zur Auflösung der stets heroisch streitenden Britpop-Überband Oasis sehen: Jetzt bin ich, endlich, frei. Wie dem auch sei: Bereits bei diesem fulminanten Start in einen Konzertabend, der keine Wünsche offen ließ, waren im Publikum die sehr engagierten Fans aus England auszumachen. Meist junge Männer ("Lagerlouts"), fröhlich, laut, mitteilungsbedürftig - einige von ihnen schrien 90 Minuten lang nach Liam, dem jüngeren Gallagher-Bruder, derzeit mit seiner neuen Band Beady Eye leidlich erfolgreich. Noel Gallagher ignorierte das geflissentlich.
Das gilt nicht für den vielfach geäußerten Wunsch, er möge doch reichlich Oasis-Songs spielen. Das tat die vom stets missmutig wirkenden Gallagher angeführte Band, die selbiger fantastisch-dämlich Noel Gallagher's High Flying Birds getauft hat, sehr gerne. "Whatever", "Little By Little", "Supersonic" in einer charmanten Akustik-Version, "Talk Tonight" und "Half The World" dagegen in volltönender Rock-Montur: Da weiß man gleich wieder, warum Gallagher der beste Songwriter (mindestens!) der 90er-Jahre war.
Ein glänzender Entertainer war der 44-Jährige übrigens nie, und so beschränkte er sich in der Sporthalle auf wenige nicht allzu freundliche Ansagen: Was für ein wunderbar eigener Typ. Irgendwann widmete er einen Song dem ähnlich individualistisch veranlagten Fußballer Mario Balotelli. Wetten, dass er mit der Reaktion seiner Landsleute rechnete? Die pfiffen und buhten (Manchester City ist nicht der beliebteste Verein auf der Insel), was Noel wiederum mit einem erigierten Mittelfinger und einem herzhaften "Fuck off" quittierte. Ein Mann des Volkes!
In der traditionell nach Klassenzugehörigkeit rechnenden englischen Gesellschaft ist die Proll-Pose keineswegs von Nachteil. Gallagher ist das Gegenteil von intellektuell, aber ganz und gar nicht unclever. Niemand hat die Beatles so gut nachgespielt wie er - und dabei Songs geschrieben, die genauso gut sind. Ob er, als Hamburg-Tourist, im Beatles-Museum war? Unwahrscheinlich. Das Beste an Gallagher war ja auch immer seine britische Blasiertheit: So einer ist kein pophistorischer Wallfahrer. Andererseits: Man will es auch nicht ausschließen.
Das überzeugende und auch kommerziell erfolgreiche Solo-Debüt kam auf dem Konzert ausdrücklich zu seinem Recht. Bis auf einen spielte die Band alle Songs - die hymnischen "Everybody's On The Run" und "If I Had A Gun" sowie den Disco-Knaller "Aka ... What A Life" inbegriffen. Die orchestrale Instrumentierung der Albumversionen fiel live weg; der Keyboarder Mike Rowe vervollständigte dort den Sound der druckvoll aufspielenden Band. Gallagher ist ja jetzt auch schon Mitte 40, und er wirkte, gerade in der tapfer bröckelnden Alsterdorfer Sporthalle, taufrisch und ziemlich gesund. Die wilden frühen Jahre, die Drogen und der Suff sind vorbei. Luft hätte er bestimmt noch für eine Verlängerung gehabt, aber nach 90 Minuten und dem Gassenhauer "Don't Look Back In Anger" war Schluss. Guter Job, Noel.
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