Die 65-jährige Sopranistin bringt die Laeiszhalle zum Toben

Hamburg. Respekt! Wo andere Goldkehlen erst mal das Orchester vorschicken, um sich dann mit leichten Lockerungsstückchen warmzuträllern, geht Edita Gruberova gleich volles Risiko. Zum Auftakt ihres umjubelten Arienabends in der Laeiszhalle singt die Sopranistin Camille Saint-Saëns' "Le rossignol et la rose", "Die Nachtigall und die Rose". Ein vokaler Drahtseilakt, bei dem die Stimme in Extremlagen herumturnt. Und zwar auf Zehenspitzen, begleitet von sanft säuselnden Streichern.

Auch wenn die ersten Töne etwas wackelig kommen: Sie kann es noch. Beeindruckend, wie sich die "slowakische Nachtigall" bis zu den Spitzentönen hinaufzirpt und wie sie selbst in höchsten Höhen ein hauchzartes Pianissimo wagt und gewinnt. Dabei verliert ihr schlankes Timbre auch in superleisen Passagen nie seine Leuchtkraft.

Stimmlich ist die 65-jährige Sopranistin nach wie vor in exzellenter Form. Allerdings - auch das sei bei aller Bewunderung nicht verschwiegen - singt sie nicht mehr so sauber wie früher. Gerade im ersten Teil ihres Programms, mit französischen Arien, rutschten viele Töne ein Stückchen und manche auch ein ganzes Stück zu tief.

Vielleicht lag das aber auch am Repertoire. Erst nach der Pause, beim italienischen Belcanto, wirkte Gruberova richtig zu Hause. Da strömten die weit geschwungenen Linien von Donizetti und Bellini so selbstverständlich, als wären sie maßgeschneidert. Am schönsten gelang ihr die Schlussszene aus Bellinis "Sonnambula", wo sie mitunter alle virtuosen Kunststücke hinter sich ließ und mit ganz schlichten, innigen Klängen betörte.

Hier, bei Bellini, zeigte Edita Gruberova ihr Weltklasse-Niveau. In dieser Liga spielt die Neue Philharmonie Westfalen nicht - gleichwohl erledigte das Orchester seinen Job unter Andriy Yurkevych mehr als anständig, auch in einigen schmissigen Instrumentalstücken. Die waren jedoch nur schmückendes Beiwerk zum Auftritt der Hauptperson. In Zugaben von Bernstein und Strauss mischte Gruberova Koloraturenglitzer mit komödiantischem Charme und brachte den Saal endgültig zum Toben.