Die NDR-Dokumentation “Der Preis der Blue-Jeans“ beleuchtet die Textilindustrie

Chen Ling sitzt über seinen Werktisch gebeugt. Sein Leben wird nicht von seiner Familie dominiert, nicht von einem Hobby, einer Arbeit, die ihn erfüllt. Stattdessen beschränkt sich sein Gesichtskreis auf rechtsseitige Gesäßtaschen. 15 bis 16 Stunden am Tag näht er sie auf Jeanshosen. Von seiner Frau Mai sieht er nur ihren Rücken, falls er die Zeit findet, den Blick zu heben. Sie näht in der Reihe vor ihm die linke Gesäßtasche auf die Jeans. Auf zynische Weise finden die zwei Hälften des Ehepaares so eine Verbindung.

Die Eheleute sind repräsentativ für viele Chinesen aus ärmlichen Provinzen und Dörfern, die ihr Glück in der Textilindustrie finden wollen. Die beiden Näher sind kleine Schrauben im riesigen Apparat des globalen Jeansmarktes, der nicht nur Raubbau am Menschen, sondern auch an der Natur betreibt. Um dem Geschmack des Westens zu genügen, enden vor allem zahlreiche Arbeitsschritte für den sogenannten "Used Look", dem modisch gewollten Anschein des Abgenutzten, bereits Getragenen, in einer irreparablen Vergiftung von Lungen, Gewässern und Böden.

Die in der NDR-Reihe "45min" laufende Dokumentation "Der Preis der Blue-Jeans" bietet erschreckende Einblicke in den toxischen Alltag der Fabriken und seiner kaum entlohnten Arbeiter. Acrylharze, krebserregende Azofarbstoffe, Ätznatron, Säuren und Bleichmittel bilden eine tödliche Mischung. Die katastrophalen Arbeitsumstände sprechen in ihren starken Bildern für sich selbst. Ohne erhobenen Zeigefinger wird hier vorgeführt, worin die Konsequenz der mangelnden Zahlungsbereitschaft unserer Gesellschaft liegt. Eine unbequeme Wahrheit, die durchaus noch mehr Raum oder einen prominenteren Sendeplatz im deutschen Fernsehen verdient hätte.

"Der Preis der Blue-Jeans" heute, 22.00 NDR