Der Pianist Matthias Kirschnereit legt eine CD mit Werken von Franz Schubert vor

Das Wandern als Ausdruck der Todessehnsucht - dieses urromantische Thema hat wohl niemand so ausdauernd umkreist wie Franz Schubert. Immer wieder taucht es in seinem Werk auf, zumal in seinen Liedern, ob als jugendlich-selbstgewisses Ausschreiten oder als klingende Ortlosigkeit. Doch selbst das robuste Lied "Das Wandern ist des Müllers Lust" wendet der Komponist alsbald ins Brüchige. Jetzt hat der Pianist Matthias Kirschnereit Schuberts musikalischen Suchbewegungen eine CD gewidmet. "Wanderer" ist sie überschrieben wie ihr Herzstück, Schuberts berühmte Fantasie, deren Thema wiederum das Lied "Der Wanderer" zugrunde liegt. "Dort, wo du nicht bist, dort blüht das Glück", heißt es da. Kann man die Sehnsucht der Romantiker knapper in Worte fassen?

Um diesen Schneckenwirbel herum gruppiert Kirschnereit eine wahre Essenz schubertschen Klavierschaffens, vom frühen Andante C-Dur D 29 über sonst als "Gelegenheitskompositionen" übersehene Stücke wie dem Marsch in E-Dur D 606 bis zur Sonate a-Moll D 845 und anderen Spätwerken.

Farbig und so nuanciert wie mit einem feinen Pinsel hebt Kirschnereit die Bandbreite an Stilen und Stimmungen heraus: Mal scheint Chopin zu grüßen wie eingangs in den elegant-verspielten Figuren der "Ungarischen Melodie". Dann wieder weist Schubert voraus auf die "Wichtige Begebenheit" aus Schumanns Klavierzyklus "Kinderszenen", der nach Schuberts Tod entstand.

Wenn Kirschnereit das Zeitmaß staut oder beschleunigt, kann das keck klingen, entschlossen oder erschütternd verzagt. Doch organisch wirkt es immer. Kitsch ist einfach keine Kategorie im Ausdrucksspektrum dieses Künstlers. Dafür sorgt schon die Genauigkeit, mit der er selbst auf dem winzigen Raum einer Verzierung die Notenwerte unterscheidet, ohne dabei professoral zu werden.

Bei aller Präzision im Detail schreckt ihn aber auch die virtuose Geste der Wandererfantasie nicht, die hörbar für den großen Konzertsaal komponiert ist. Nie glättet er ihre Kontraste zwischen fast sakraler Innigkeit und jähen Ausbrüchen. Gegenläufige Stimmen meißelt er förmlich heraus und greift, wo nötig, beherzt in die volle Tastatur.

Doch die größte Kunst liegt womöglich in der Schlichtheit. Kirschnereit fasst die beiden ersten Unisono-Takte der Sonate a-Moll so zart, dass die beiden Oktaven zu verschmelzen scheinen. Das Thema ist dem Lied "Totengräbers Heimweh" entlehnt, das Schubert kurz zuvor komponiert hatte und dessen Text geradezu Bekenntnischarakter hat: Da steht der Totengräber und starrt "mit sehnendem Blick hinab ins tiefe Grab".