Antonio Florio und sein Ensemble I Turchini entführten in die Opernwelt des 18. Jahrhunderts

Hamburg. Ein Wörtchen nur will er ihr sagen! Welches wird es wohl sein? Sie, die Blüte der Jugend liegt schon eine Weile hinter ihr, verliert sich kokett fächelnd in den schönsten Träumen - und plumpst jäh auf den Boden der Tatsachen, als er, noch sehr jung, das ersehnte Wort schließlich ausspricht: "Hallo!" Mehr nicht. Vor Enttäuschung schimpft sie ihn einen Rüpel - woraufhin er sich beeilt, dem zu entsprechen, und sie als faltige Alte verhöhnt. Ein Schimpfwort gibt das andere, sogar ein Pantoffel fliegt durch die Gegend. Und das Ganze gesungen zu furiosen, virtuos wechselnden Rhythmen.

Hätte es vor 300 Jahren schon Fernsehshows gegeben, Valentina Varriale und Pino de Vittorio wären ihre Stars gewesen. Für Giuseppe Petrinis derbes Stückchen "Graziello e Nella", das es an Derbheit locker mit manchem heutigen Trash-Format aufnehmen könnte, haben die beiden die Rollen getauscht: Die Sopranistin als grausamer Jüngling und der Tenor als liebestolle Greisin rissen im Verein mit dem Dirigenten Antonio Florio und seinem Ensemble I Turchini das Publikum der Reihe "NDR Das Alte Werk" schier von den Sitzen der Laeiszhalle.

Intermezzi nennen sich solche wenige Minuten langen Szenen. Sie wurden im 18. Jahrhundert als Pausenfüller zwischen die Akte des Hauptwerks eingeschoben, das als sogenannte Opera seria das Publikum oft mit zweckfreien, aber hochsportlichen Koloraturen und endlosen Huldigungen ermüdete. Florio, selbst Süditaliener und wie sein Ensemble in Neapel ansässig, hat schon zahllose Werke aus der goldenen Epoche des neapolitanischen Musiktheaters aus der Versenkung örtlicher Bibliotheken geholt. Von seiner profunden Kenntnis lebte dieser sprühende Abend, der Arien und Duette halbszenisch und äußerst amüsant mit Instrumentalstücken abwechseln ließ.

Viel mehr als einen Hut und einen plüschbezogenen Stuhl brauchten die beiden Sänger nicht als Requisiten. Ihr Kapital war die Gegensätzlichkeit: hier der geschmeidige, volle, äußerst bewegliche Sopran und dort der näselnde, das Sprachliche betonende Tenor. Schon sein kehliges Timbre zog jede Phrase ins Komische und machte zudem deutlich, dass die Musik aus dem äußersten Süden Europas stammte. Neapels Ruhm strahlte zwar nach ganz Europa aus, doch die Sujets, die Sprache und die Musiksprache gerade der komischen Oper waren deutlich vom lokalen Kolorit geprägt.

Da verwunderte es nicht, dass die Namen der vertretenen Komponisten bis auf Domenico Scarlatti höchstens Fachleuten bekannt sein dürften. Auch hier stellte sich Florio ganz in die Tradition seiner Stadt: Seine ungeheure Lebendigkeit bezog der Abend aus dem Tempo und dem Esprit der Dramaturgie. Auf die kompositorische Qualität der einzelnen Stücke kam es weniger an, die Musik bestach vor allem durch ihre Vielfalt. Mal imitierten und illustrierten die Musiker mit dem Konzertmeister Alessandro Ciccolini das szenische Geschehen und ließen ihre Instrumente lachen, dann wieder gaben sie ganz seriös eine frühklassisch kurze Sinfonie. Geradezu zum Anfassen plastisch führten sie die Charaktere der Commedia dell'arte musikalisch vor. Schade nur, dass gerade in den - zugegeben sehr geforderten - Ersten Geigen die Intonation zu wünschen ließ.

Zuletzt sang der Tenor eine apulische Tarantella. Die hätte auch in einer süditalienischen Kneipe erklingen können. Ein klingendes Plädoyer für die Aufhebung dieser dämlichen Unterscheidung zwischen "E" und "U".