Die Berliner Band Haudegen versteht sich als Sprachrohr für all jene Menschen, die in unserer heutigen Gesellschaft keine Stimme haben.

Markthalle. Wenn Hagen Stoll einem entgegenkommt, ist der erste Impuls, die Straßenseite zu wechseln. Ein massiger Typ, etwa 120 Kilo schwer, kurz geschorene Haare, bis unters Kinn tätowiert, Stiernacken, Hände so groß wie Bratpfannen. Früher half diese physische Präsenz ihm als Türsteher vor Berliner Klubs, körperlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen. Heute verraten die Tattoos noch einiges über seine proletarische Herkunft, doch Angst machen möchte Hagen Stoll niemandem. Im Gegenteil. Stoll ist einer der beiden Köpfe der Berliner Band Haudegen. Der andere ist sein Kumpel Sven Gillert - kleiner als Stoll, ebenfalls großflächig tätowiert, aber weniger Furcht einflößend.

Als einen Haudegen versteht man gemeinhin einen furchtlosen Kämpfer, einen, der sich an die Spitze einer Bewegung oder einer Truppe setzt. In diesem Sinne sehen sich auch Stoll und Gillert als Kämpfer für diejenigen, die in der Gesellschaft keine Stimme haben, und als Sprachrohr des "kleinen Mannes". Doch sie drücken diese Kritik nichtetwa in aggressiven Songs aus, sondern benutzen im Gegenteil sanfte Balladen mit Orchesteruntermalung, pompöse Rocknummern und geben lyrische Streicheleinheiten.

Haudegens sanfte Musik wirkt wie das komplette Gegenteil ihres auf den ersten Blick abschreckenden Äußeren. "Die Überraschung ist unser Vorteil", sagt Stoll. Er und Gillert stammen aus dem Ostberliner Randbezirk Hellersdorf-Marzahn mit seinen tristen Plattenbauten. Die beiden Freunde haben hier nach der Wende Gewalt, Alkoholismus und Arbeitslosigkeit erlebt. Doch inzwischen ist aus dem ehemals sozialen Brennpunkt einer der sichersten Berliner Bezirke geworden.

"Gossenpoesie" nennen die beiden Künstler ihre Popmusik. Mit Schiebermütze und schwarzem Hut wirken sie wie aus dem Zille-Milieu entsprungen. Zwei Nostalgiker, die sich mit den kleinen und großen Sorgen der Leute auf der Straße beschäftigen. Viele Songs der Berliner handeln von Solidarität, einem Wort, das in der DDR von staatlicher Seite oft missbraucht worden ist, aber nach der Wende eine neue Bedeutung bekommen hat: als gegenseitige Hilfe derjenigen untereinander, die nach dem Mauerfall nicht in Richtung Westen gezogen sind. "Ich box dich raus, ich leg die Hand für dich ins Feuer", singt Haudegen in "Ein Mann, ein Wort". "Wir rammen jeden Stein weg, der uns im Weg liegt", heißt es in "Wir gegen den Rest".

Angefangen hat Hagen Stoll als Rapper. Er nannte sich Joe Rilla, sein Kumpel Gillert war Tyron Berlin. Als Joe Rilla brachte Stoll eine Reihe von Platten unter anderem beim Aggro-Berlin-Label heraus, doch 2010 verabschiedete er sich aus der Hip-Hop-Szene, weil er dort keine künstlerische Weiterentwicklung mehr für sich sah. Haudegen versteht er nunmehr als "Hoffnungsmusik". Musikalische Vorbilder sind jetzt nicht mehr mitGoldketten behängte amerikanische Gangsta-Rapper, sondern deutscheLiedermacher wie Reinhard Mey oder auch Popsänger wie Herbert Grönemeyer und Klaus Lage.

Als Haudegen sind Stoll und Gillert ungleich erfolgreicher als in ihrerRapper-Karriere. Das Debüt-Albumerreichte die Top Ten der deutschen Hitparade, bei YouTube wurden Videos mehr als vier Millionen Mal geklickt, und viele Headliner-Konzerte waren ausverkauft. Bei aller Kritik an dengegebenen Verhältnissen steht Haudegen für ein positives Lebensgefühl.

Vielleicht ist das ein Schlüssel für ihren Erfolg.

Haudegen heute, 21.00, Markthalle (U/S Hauptbahnhof), Klosterwall 9-21; Karten 21,15; Internet: www.haudegen.com www.markthalle-hamburg.de