Der Hamburger Peter Braun ist Experte für Kamerabewegung. Technik war bei Oscar-nominierten Filmen “Pina“ und “The Help“ im Einsatz.

Hamburg. Es ist ein Tanz im doppelten Sinne. Der Tanz, den der Kinozuschauer direkt sieht. Körper, Dynamik, Ausdruck. Und der, den die Kamera vollführt, der die Bilder schweben lässt. Ein Pas de deux von Mensch und Technik ist es, den Wim Wenders für "Pina" vollführen musste. Für den 3-D-Film über die verstorbene Choreografin Pina Bausch, der in der Nacht zu Montag ins Rennen um einen Oscar geht. Seit Jahren vertraut der Regisseur bei einem derart kunstvollen Akt auf Peter Braun, Spezialist für Kamerabewegung. Der Hamburger lässt Aufnahmegeräte an Kränen, Seilen und selbst entwickelten Konstruktionen fliegen, schwingen und rotieren. Seit 35 Jahren. Mad About Technology, kurz MAT, heißt seine Firma. Das passt. Denn Braun ist tatsächlich verrückt nach Technik. Und wer ihn in seinem sehr wohnlichen Arbeitsrefugium an der Koppel in St. Georg besucht, der weiß, woher die Musikalität stammt, mit der er statische Apparate geschmeidig in Fahrt bringt.

Unweit des Schreibtisches, der in diesem Fall eher ein Schaltpult ist, verbirgt sich ein kleines Musikstudio. Auf einem filmreifen roten Teppich stehen Gitarren, an der Wand hängt eine Platte von Brauns früherer Rockgruppe Reaction. Eine Maus sitzt da auf einem Kaktus. Das war damals, vor 40 Jahren. "Das Cover ist vermutlich bekannter als unsere Band", sagt Braun und lacht gelassen. Mit seiner schwarzen Brille und den frei flottierenden grauen Haaren sieht er seinem Freund Wenders nicht unähnlich. Auch Brauns Frau Susanne Homann, eine Dokumentarfilmerin, trägt ein markantes Gestell zum blonden Pagenkopf. Für den cineastischen Durchblick, drängt sich kurz als Gedanke auf. Doch dann geht es auch schon hinein in ein Leben, das wirklich eines ist: in Bewegung.

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Als Student und Musiker musste Braun in den 70ern nebenbei Geld verdienen, er arbeitete als Requisitenfahrer beim Film. Ein guter Job, um das Metier zu beobachten. "Die schleppten da tonnenschweres Gerät durch die Gegend, um die Kamera 20 Meter vor oder zurück zu bewegen. Ich dachte: Da muss man was machen", erzählt er. SeineFirmenidee war geboren.

Zu Beginn standen die Buchstaben MAT noch für "Mobiles Ausstattungsteam". Braun funktionierte seinen Bandbus um, tauschte Instrumente gegen Bohrmaschine und Handkreissäge. Einer seiner ersten Aufträge war 1976 der Dreh zu Wenders "Der amerikanische Freund" in Hamburg. Braun hatte den Ford Mustang für Dennis Hopper besorgt - mit der Auflage, nicht einen Kratzer an den Wagen kommen zu lassen. "Hopper kam von diesem furchtbaren Dreh zu 'Apocalypse Now' und war völlig zugedröhnt, wollte das Auto aber Probe fahren", erinnert er sich. Der Schauspieler trat aufs Gas und war weg, kam erst nach Stunden zurück, sichtlich vergnügt, das Team hingegen ansatzweise hysterisch.

Wenn Braun Anekdoten wie diese erzählt, spricht er mit der gleichen Faszination von Menschen wie von Technik. Das unterscheidet ihn vom Nerd. Sein Bestreben, den Umgang mit der Kamera leichter zu gestalten und Räume spielerischer zu erschließen, geht bis in die 20er-Jahre zurück, wo die Idee von der entfesselten Kamera mit Murnaus "Der letzte Mann" populär wurde.

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Und um wirklich die besten Innovationen kennenzulernen, musste Braun damals ins kreative Zentrum des Films reisen, nach Hollywood. Seit Anfang der 80er zog es ihn mit viel Pioniergeist immer wieder nach Los Angeles, wo er auf ein Eldorado stieß. "Kleine Kameraarme, ferngesteuerte Kameraköpfe, seilgeführte Kameras", so schwärmt er. "Die Leute saßen da in den USA zum Teil wie Daniel Düsentrieb. Verrückte Erfinder, die sich Abstruses ausdachten. Aber für den Film war das genial." Braun holte die Maschinen nach Deutschland. Und nach anfänglicher Skepsis traditioneller Kameraleute kam in den 90ern der Durchbruch, denn das Fernsehen interessierte sich verstärkt für die neuen Möglichkeiten. Von den großen Unterhaltungsshows bis zu Fußballübertragungen, die mithilfe von Schienenkameras erstmals auf Ballhöhe agieren konnten.

Beim Hurricane-Festival und in Wacken ist die Technik mittlerweile im Einsatz, beim Videodreh für Grönemeyer und Moby. Braun half, Pink Floyds "The Wall"-Show in Berlin aufzuzeichnen, ebenso den Auftritt von U2 am Brandenburger Tor. Tina Turner auf dem Hamburger Rathausmarkt, Lang Lang im Berliner Berghain. Jedes Mal eine andere Umgebung, eine neueSituation, ein weiterer Tanz.

Doch Brauns Herz schlägt für die große Leinwand. Das ist deutlich zu spüren, wenn er alte Fotos durchblättert oder Produktionsszenen über den Beamer zeigt. 1983 steht da ein Kran dem Drachen Fuchur aus Wolfgang Petersens "Die unendliche Geschichte" gegenüber. In Tom Tykwers Verfilmung von "Das Parfum" fährt 2006 eine sogenannte Snorkel Camera für fein justierte Nahaufnahmen am Hals des Mirabellenmädchens entlang, so als rieche der Betrachter tatsächlich an ihrer Haut.

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"Viele Kameraleute sind gerne mit dem Auge am Okular", sagt Braun. So auch Robert Richardson in QuentinTarantinos "Inglourious Basterds". "Der hat alles Ferngesteuerte gehasst." Aber bei manchen Szenen empfiehlt es sich schlichtweg, Abstand zu halten. Etwa wenn, wie in der Nazi-Satire, ein ganzes Kino in Flammen aufgeht.

Das Werk entstand größtenteils in den Berliner Babelsberg-Studios, die derzeit ihr 100-jähriges Bestehen feiern. Auch Braun zog es mit seiner Firma vor zwei Jahren ins filmaffine Potsdam, wo MAT eine 1000 Quadratmeter große Halle als Schaltzentrale nutzt. "Das war ein schwerer Schritt für uns, da wir ja eine Urhamburger Firma sind", sagtSusanne Homann. Doch in der Hansestadt hätten einfach das Klima und die Wertschätzung für Filmschaffende gefehlt. Kreativer Rückzugsraum bleibt jedoch St. Georg. In Hamburg schuf Braun 2003 auch die Tower Cam: Die Kamera lässt sich an einer ausfahrbaren Säule in die Höhe schieben und kann sich gleichzeitig um 360 Grad drehen. "Ideal, um in Treppenhäusern zu drehen", erklärt Braun. So geschehen in "Casino Royal" oder "Harry Potter und der Orden des Phönix". Und auch in dem nun Oscar-nominierten Südstaatendrama "The Help" nutzt Kameramann Stephen Goldblatt dieses Teleskop, um Emma Stone bei einem energischen Treppengang zu folgen. "Da ist man natürlich stolz", sagt Braun.

Fast wären seine Frau und er dieses Wochenende zu der Filmpreisgala geflogen. "Wim hatte uns zu seiner Oscar-Party eingeladen", erzählt Braun. Doch das Geschäft geht vor, im April ist eine USA-Reise geplant, um eine weitereErfindung in Las Vegas vorzustellen:eine musikalisch steuerbare Kamera. Einzelne Töne sind da an Befehle gekoppelt: Bei einem C geht es zum Beispiel vorwärts, beim D rückwärts, bei einem A nach oben. "So ergeben sich vermutlich wirre Bewegungen. Aber das könnte auch interessant und gut aussehen", sagt Braun. Der Tanz geht weiter.

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