Der kanadische Schriftsteller Michael Ondaatje hat in seinem Roman “Katzentisch“ biografische Details verarbeitet. Erinnern kann er sich an sie allerdings nicht mehr

Hamburg. Für zu viele Interviews fühlt Michael Ondaatje sich inzwischen zu alt. Aber ab und zu mag er, so sagt der 68-Jährige, ganz gern über die Storys hinter den Kulissen eines Romans sprechen. Der kanadische Schriftsteller stammt aus einer europäisch-ceylonesischen Familie. Nach der Trennung seiner Eltern folgte er 1954 als Elfjähriger der Mutter per Schiff nach England. Wir sprachen mit dem Autor, der im Literaturhaus seinen neuen Roman vorstellte und vorher an der Alster spazierte, über "Katzentisch".

Hamburger Abendblatt:

Ich habe gehört, der Ausdruck Katzentisch ist im Englischen unbekannt und war auch Ihnen bis vor kurzem neu.

Michael Ondaatje:

Das ist richtig. Meine deutsche Lektorin Anna Leube erwähnte in einem Telefonat einen Traum, in dem sie am Katzentisch saß. Ich fragte sie, was zum Teufel damit gemeint sei, und sie erklärte es mir. Und dann habe ich diesen neuen Begriff hinaus in die Welt getragen. Es scheint, dass er auch in Nordamerika gut verstanden wird. Schließlich kennen wir alle das Gefühl, ab und zu am Katzentisch sitzen zu müssen.

Können Sie sich noch an den Stein des Anstoßes für dieses Buch erinnern?

Ondaatje:

Ich erzählte meinen erwachsenen Kindern von meiner Schiffspassage, und sie waren erstaunt darüber, dass ein Kind ohne erwachsene Begleitung eine solche Reise machen konnte. Mir wurde klar, dass das ein wirklich interessanter Ansatz war und einen guten Plot für ein neues Buch ergeben könnte. Ich nahm mir vor, meine eigenen Erinnerungen als Ausgangspunkt für ein Abenteuer zu nehmen, bei dem alles passieren kann, sozusagen eine perfekte Seereise aus der Sicht eines kleinen Jungen.

Hatten Sie denn noch genaue Erinnerungen an Ihre Reise vor mehr als 57 Jahren?

Ondaatje:

Einer der glücklichen Umstände beim Schreiben dieses Romans war die Tatsache, dass ich mich kaum noch daran erinnern konnte. Das war ein Geschenk, denn erfahrungsgemäß werden Fiktionen durch die Realität eher verdorben. Zu viele reale Details schränken die Einbildungskraft ein, die Dimensionen verkleinern sich.

Sie betrachten Landschaften und andere Orte als inspirierend für den Beginn Ihrer Arbeit. Wie war das bei einem Ozeandampfer als Location?

Ondaatje:

Die zeitliche und räumliche Begrenzung war von Vorteil. Michael geht an Bord, Michael verlässt das Schiff, um seine Mutter wiederzusehen. Und es gibt hauptsächlich nur einen einzigen Schauplatz. Diese klare Struktur hat mir große geistige Bewegungsfreiheit eröffnet.

Waren Sie denn nach Ihrer Schiffsreise in der Kindheit noch einmal an Bord eines Passagierschiffes?

Ondaatje:

Ja. Vor Abschluss des Romans habe ich eine Reise auf der "Queen Mary" von New York nach London gemacht. Ich wollte noch einmal dieser elf Jahre alte Junge sein. Ich war jedoch etwas enttäuscht, dass an meinem Tisch nicht die mir vertrauten Reisegefährten meines Buches saßen. Also habe ich es vorgezogen, allein in der Cafeteria zu essen. Eine interessante Erfahrung war übrigens die Wahrnehmung aus der Erwachsenen-Perspektive. Ich fand es sehr beeindruckend, wie klein ein Swimmingpool an Bord ist. Den Jungs erschien er groß wie ein Garten. Jetzt kam er mir eher wie ein Tisch vor.

Die Situation einer geschlossenen Gesellschaft erinnert an die in Thomas Manns "Zauberberg". Tatsächlich liest eine Ihrer Figuren an Bord in dem Roman. Spielte der "Zauberberg" eine Rolle in der Entwicklung von "Katzentisch"?

Ondaatje:

Dass eine Passagierin den Roman liest, ist eine Erinnerung an eine Freundin, von der ich hörte, dass sie es auf einer Schiffsreise getan habe. Außerdem hatte ich zwischenzeitlich die Idee, die Speisekarten im "Zauberberg" in mein Buch zu übernehmen. Das habe ich dann aber wieder vergessen. Schade, eigentlich eine gute Idee.