Das ideal besetzte Ermittlerteam Charly Hübner und Anneke Kim Sarnau beweist, dass der “Polizeiruf 110“ der bessere “Tatort“ ist.

Rostock/Hamburg. "Ich brauch Verstärkung hier, aber ein bisschen dalli", sagt Alexander Bukow, und wer Bukow kennt, weiß: jetzt besser schnell. Blut tropft von der Stirn der angeschossenen LKA-Beamtin Katrin König, sie wird noch am selben Tag ins künstliche Koma gelegt. Von da an pfeift Bukow aus dem letzten Loch. Hat lang kein Bett mehr gesehen, spült nachts mit Bier die Schuldgefühle herunter, die Äuglein tränen vor Müdigkeit. Er brüllt, flucht und knallt Türen, nach Feierabend schleicht er ans Krankenlager der bewusstlosen Kollegin, in der Hand ein fleckiger Jutebeutel mit ihren CDs. Bisschen Musikhören vielleicht, brummt Bukow - und spätestens an dieser Stelle fällt einem ein, warum man die Polizeirufe aus Rostock so schätzt.

In "Einer trage des anderen Last" - wie auch in den vier Vorgängerfilmen des Ermittlerpaars Bukow/König - werden, so banal das klingen mag, Menschen gezeigt, keine Verdächtigen, Pseudoverdächtigen, unschuldig Verdächtigen oder sonstwie für die übliche Krimidramaturgie notwendigen Schablonenfiguren. Und im Zentrum: der Menschenkenner Bukow, der Lügen, Falschheit, Abgezocktheit auf zehn Meter gegen den Wind riecht. So einem kann man nichts vormachen; der hat dem Leben Erfahrungen abgerungen, bei denen nicht immer die Sonne geschienen hat.

Charly Hübner ist die Idealbesetzung für diese unkonventionelle Kommissarenrolle; er spielt mit einer körperlichen Bärbeißigkeit, die staunen macht. Er hat dieses Gesicht, das aussieht, als habe er darin geschlafen, und gleichzeitig eine Hellwachheit in den Augen, dass man besser auf der Hut ist. Die Kamera im Film von Christian von Castelberg (Regie) und Eckhard Theophil (Buch) ist ganz auf die Gesichter der Schauspieler konzentriert und auf die Räume, durch die sie sich bewegen, die eben auch mehr sind als bloße Kulissen. Ein heruntergewracktes Männerwohnheim besuchen die Ermittler, Kneipen an Ausfallstraßen im Niemandsland mit Neonbuchstaben über dem Eingang und Pappfrauen an den Wänden, in der sich tätowierte Knastbrüder mit Schmierlappen-Zuhältern in Armani-Anzügen mit Baseballschlägern duellieren.

Da braucht es schon fast keinen Fall mehr, aber hier ist er: Ein JVA-Insasse wird am helllichten Tag aus dem Gefangenentransporter entführt und hingerichtet. Er war ein Heimkind, Knastkind, "ein feiger, größenwahnsinniger Typ", sagen die, die mit ihm zu tun hatten. Eines von acht Geschwistern, die sich nicht kannten oder nichts zu sagen hatten. Einzige Ausnahme ist die Sozialarbeiterin Jessica, ein blasses Mädchen mit hohen Wangen- und spitzen Hüftknochen, die in dem hünenhaften Anti-Spießer Bukow einen Vertrauten wittert. Überzeugend spielt die vergangenes Jahr im Alter von nur 26 Jahren gestorbene Maria Kwiatkowsky ihre letzte Rolle - mit knallhartem Blick und zerbrechlicher Seele.

Der Polizeiruf aus Rostock drückt gern auf die Tube, das ist auch in diesem Krimi nicht anders. Notfalls schwingt Bukow die Fäuste, um eine Information aus dem Gegner herauszuprügeln - eine Paradeszene für Charly Hübner, der ohnehin spielt, als sei jede Szene ein Boxkampf. Gleichzeitig schwingt immer eine leise, leicht angeschmutzte Melancholie in den Fällen mit. Wer genau hinguckt, erkennt: Dieser Bukow ist in Wahrheit ein leiser Mensch. Einer, dem der Vater am Kneipentresen rät: "Geh nach Hause, Junge. Und vergiss nicht: Wenn's dunkel ist, ist Nacht." Nur manchmal muss er, wenn wieder der Falsche bestraft wird und das Schwein entkommt, eben brüllen, dass die Stimmbänder beben.

Der "Polizeiruf 110" ist oft der bessere "Tatort" - diese These stützte über Jahre hinweg das kongeniale Münchner Ermittlerpaar Michaela May und Edgar Selge als einarmiger, lebensklug-verstörter Kommissar Tauber. Grenzgängerfälle wurden hier erzählt, inhaltlich und ästhetisch immer eine Wucht. Heute kommen diese Fälle aus Rostock. Sie stoßen Türen auf, lassen frischen Wind hereinwehen. Und längst ist sie noch nicht auserzählt, die seltsam anmutende Beziehung zwischen Alexander Bukow und Katrin König (Anneke Kim Sarnau), die wohl niemals Freunde werden, sich misstrauisch beäugen wie Katz und Hund, aber eben doch ein Team sind, das gegenseitig aufeinander aufpasst. Notfalls am Krankenbett.

"Polizeiruf 110" Sonntag, 20.15 Uhr, ARD