Franziska van Almsick wird für ihre Schwimmerfolge und ihr Engagement geehrt. Ein Gespräch über ihr neues Leben, die Familie und Olympiaträume.

Hockenheim. Das Südseemotiv auf dem Gemälde des Künstlers Stefan Szczesny wärmt an diesem kalten Wintertag in Hockenheim. Hier, unweit der badischen Formel-1-Rennstrecke, arbeitet Franziska van Almsick, 33, in ihrem Büro, modisch und stilsicher eingerichtet mit lilafarbenen Möbeln. Entspannt plaudert die frühere Schwimmerin, 1,81 Meter groß und mit unverändert sportlicher Figur, über ihr neues Leben jenseits des Hochleistungssports. Am Montag erhält Franziska van Almsick bei der Sportgala in Hamburg den Ehrenpreis für ihre sportlichen Leistungen - als erster gesamtdeutscher Sportstar der Nachwendezeit - und ihr soziales Engagement. Wie sehr sich ihre Prioritäten verschoben haben, zeigt die Antwort auf die Frage nach dem nächsten Termin: "Ich hole jetzt meinen Sohn aus der Kita ab."

Hamburger Abendblatt: Frau van Almsick, Sie haben vor sieben Jahren Ihre sportliche Karriere beendet. Aus heutiger Sicht waren zwei Drittel Ihres Lebens Leistungssport. Wie schwierig war es, dieses neue Leben zu beginnen?

Franziska van Almsick: Ich wollte immer auf dem Höhepunkt meiner Laufbahn aufhören. Als ich 2002 bei der Europameisterschaft diesen größten Moment meiner sportlichen Karriere erlebte (Weltrekord über 200 Meter Freistil, d. Red.) , war mir schon klar, dass man das nicht mehr toppen kann. Aber es waren dann nur noch zwei Jahre bis Athen - meine vierten Olympischen Spiele wollte ich noch mitnehmen, um meine Karriere vollkommen zu machen. Aber danach, wusste ich, ist definitiv Schluss. Ich kann jedem Sportler nur empfehlen, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen.

So wie jetzt Magdalena Neuner?

van Almsick: Ich kann sie da sehr gut verstehen. Es ist großartig, wie sie das macht und ihren eigenen Weg geht. Diese Entscheidung muss man bei klarem Bewusstsein treffen und nicht, weil man gerade verloren oder das schlimmste Jahr seiner sportlichen Karriere erlebt hat. Ich habe gesagt: Am 17. August 2004, nach dem olympischen 200-Meter-Freistil-Finale, ist Schluss. Deswegen war dieser Schnitt nicht wirklich schwer.

Hatten Sie Entzugserscheinungen?

van Almsick: Natürlich würde ich lügen, wenn ich sage, dass es diese Momente nicht gibt. Als Sportler habe ich jeden Tag mit meinem Körper kommuniziert, er gab mir eine Bestätigung. Ich bin nach Hause gekommen, habe mich aufs Sofa gesetzt und gedacht: Das war ein guter Tag. Dir tut alles weh, aber du hast einen Super-Test geschwommen. Und heute? Niemand sagt dir, du warst jetzt gut oder nicht. Ein Tag ist jetzt vorbei - und ich weiß nicht, wie er war.

Sie waren ein Sportlerleben lang fremdbestimmt. Jetzt entscheiden Sie selbst. Mussten Sie das lernen?

van Almsick: Ich habe mit fünf angefangen zu schwimmen, mit 26 aufgehört. 21 Jahre bestimmten Training, Schule, Wettkämpfe und Termine mein Leben. Plötzlich hörte das auf, und ich musste mein Leben selbst in die Hand nehmen. Alles ist komplett neu. Jetzt werde ich geehrt für etwas, das auch mit meiner Vergangenheit zu tun hat, einer Verbindung ins alte Leben. Ich bin 33, Freunde sagen: Sei doch froh. Wo du heute bist, sind andere erst mit 50. Aber mein Leben ist doch nicht vorbei, nur weil ich schon eine Karriere hatte.

Erinnern Medaillen und Pokale Sie noch an dieses frühere Leben?

van Almsick: Ich habe tatsächlich eine Wand, da stehen sie drin. Leider nicht alle. Mein sportlicher Erfolg bestand immer darin, dass ich die Dinge abgehakt habe. Ich habe einen Wettkampf bestritten, die Medaille genommen, sie rumgezeigt, weggepackt - und dann habe ich wieder von vorn angefangen. Und das zwei Jahrzehnte lang. Aber ein paar Erinnerungen fehlen, das ist schade. Einige Olympiamedaillen sind leider nicht mehr aufzufinden.

In Ihrem neuen Leben sind Sie Aufsichtsrat in der Sporthilfe. Was können Sie dort einbringen?

van Almsick : Ich versuche ein Bindeglied zu sein zwischen Wirtschaft und Sport. Wenn wir zum Beispiel im Aufsichtsrat über die Eliteförderung diskutieren, kann ich dabei aus eigener Erfahrung viel beitragen. Mit ist wichtig, dass man weiß, wie bedeutend die Sporthilfe im deutschen Sport ist. Laut einer Studie, die die Sporthilfe gemeinsam mit der Sporthochschule Köln durchgeführt hat, sehen 90 Prozent der Befragten in Sportlern eine Vorbildfunktion, und 66 Prozent sind stolz, wenn deutsche Sportler Medaillen gewinnen. Viele wissen allerdings nicht, dass das Durchschnittsgehalt eines Sportlers bei 600 Euro im Monat liegt und er dabei eine 60-Stunden-Woche hat, einschließlich Schule, Ausbildung und Beruf. Es geht mir darum, dass ich mich für die Sportler einsetze, dass ich verstehe, wo Hilfe nötig ist.

War Ihnen früher klar, wie sehr fast die ganze Nation mit Ihnen gefiebert hat?

van Almsick: Am Anfang habe ich mich immer dagegen gesträubt, weil ich mich zu jung fühlte, um Vorbild zu sein. Ich habe meinen Sport nie gemacht, um reich und berühmt zu werden. Ich wollte immer nur meinen Sport gut machen. Deswegen hatte ich auch lange ein Problem damit, Vorbild zu sein. Heute bin ich mir schon bewusst, welche Rolle ich habe. Aber auch das wird übertrieben. Ich bin mal mit einer amerikanischen Freundin im Zug gefahren und habe ein Hefeweizen bestellt, weil sie unbedingt ein deutsches Bier probieren wollte. Der Schaffner schaut mich an und fragt: Sind Sie's oder sind Sie's nicht? Als dürfte ich nicht auch mal einen Schluck trinken - dabei bin ich seit sieben Jahren kein Sportler mehr.

Sie sind bekannt dafür, dass Sie mit Ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten. Dafür mussten Sie auch als ARD-Expertin bei der WM in Shanghai Kritik einstecken, weil Sie Britta Steffens Abreise nicht nachvollziehen konnten.

van Almsick:

Die Geschichte um Britta Steffen war etwas schwierig. Sie fühlte sich von meinen Aussagen angegriffen. Aber ich war nur ehrlich, ohne jemanden verletzen zu wollen. Ich stehe nach wie vor zu allem, was ich damals gesagt habe, das ist als Schwimmexpertin mein Job. Ich kann verstehen, dass sie damals alles abgesagt hat, das hätte ich wahrscheinlich genauso gemacht. Aber auch sie hat eine gewisse Vorbildfunktion und hätte vielleicht noch eine Nacht darüber schlafen können, bevor sie abreist.

Wenn Sie sich zu Ihrem Lieblings-Fußballverein 1899 Hoffenheim äußern, schlägt das auch Wellen ...

van Almsick: Ich habe nie behauptet, dass ich eine Fußballexpertin bin, aber ich interessiere mich dafür. Jetzt lebe ich in Heidelberg, und das ist meine Heimat. Dass es mich mal so erwischen würde mit einem Verein, der TSG Hoffenheim, hätte ich nie gedacht. Ich sitze bei jedem Heimspiel im Stadion, wenn ich zu Hause bin, das ist eine neue Leidenschaft. An der TSG hängt mein Herz. Natürlich würde ich mich freuen, wenn es für uns jetzt bergauf geht. Und wenn man mich dann fragt, sorry, dann bin ich einfach nur ein Fan dieses Vereins und sage, was ich denke.

Aber es gibt Dinge, mit denen Sie durchaus von sich reden machen. Zum Beispiel die Schwimmförderung für Schulkinder.

van Almsick : Wir haben in Heidelberg alle 21 Grundschulen miteinander vernetzt und haben das Projekt 'Heidelberger Kids auf Schwimmkurs' in den vergangenen Jahren mithilfe der Stadtwerke und der Stadt Heidelberg vorangetrieben. Mittlerweile haben fast 4000 Kinder das Programm durchlaufen, darauf bin ich sehr stolz. Jetzt expandieren wir nach Wolfsburg, Salzgitter, Gifhorn und Braunschweig.

Und nach Hamburg?

van Almsick: Natürlich würde ich mit diesem Projekt auch gern nach Hamburg kommen. Unser Ziel ist es, Grundschullehrer mit Fortbildung und Seminaren zu unterstützen, damit sie den Kindern technisch sauberes Schwimmen beibringen können. Jedes Kind, das die Grundschule verlässt, sollte mindestens eine Schwimmart technisch sauber beherrschen. Richtiges Schwimmen kann Leben retten. Denn jedes Kind, das ertrinkt, ist eines zu viel. Und ich weiß, dass die Lehrer dankbar dafür sind, dass es dieses Projekt gibt. Natürlich brauchen wir die Unterstützung der Stadt und der Bäderbetriebe, denn die Wasserfläche kostet nun einmal am meisten Geld. Aber wenn die Kinder Spaß haben und weiter schwimmen gehen, profitieren auch die Bäder.

Die wichtigste all Ihrer neuen Rollen ist die als Mutter. Ihr Sohn ist gerade fünf geworden. Zieht es ihn ins Wasser?

van Almsick : Wenn eine Mutter darüber redet, wie wichtig es ist, dass Kinder schwimmen lernen, sollte vor allem mein Sohn als gutes Vorbild vorangehen. Er wird mal ein großer Kerl, er ist sehr sportlich, und das Wasser macht ihm Spaß. Er spielt auch ein bisschen Fußball. Natürlich ist es ein Traum, dass er vielleicht einmal irgendeinen Leistungssport betreibt. Welchen auch immer. Denn die Charaktereigenschaften, die ein Sportler gewinnt, sind unbezahlbar.

Ich kann Sie mir kaum als Eislaufmutti vorstellen ...

van Almsick: Die Leidenschaft musst du selbst entwickeln. Bei mir haben die Eltern nie Druck gemacht. Wenn man jemanden zu etwas zwingen muss, geht das selten gut. Zumindest wird man nicht glücklich. Und möglicherweise auch nicht so erfolgreich. Ich habe meinen Sport immer geliebt, das war die große Leidenschaft meines Lebens. Sehen Sie sich zum Beispiel mal Ruderer oder Judokas an, die wissen, dass sie mit ihrem Sport wahrscheinlich nicht reich werden können. Aber sie machen es trotzdem, weil sie ihn lieben.

Und Sie? Brauchen Sie selbst noch den Sport, Ihre große Leidenschaft? Trainieren Sie weiter?

van Almsick: Als ich damals aufhörte, habe ich bestimmt fünf Jahre lang nichts mehr gemacht. Ich war so müde vom Sport. Auch heute, wenn mein Sohn um sieben am Bett steht und sagt: "Aufstehen, die Sonne scheint", denke ich oft: Lieber Gott, früher bin ich um diese Zeit schon ins Becken gesprungen. Michael Groß hat mir mal erzählt, die Zeit wird kommen, und dann geht's auch wieder los. Wenn der Körper mal regeneriert ist, hat man auch wieder Lust. Und tatsächlich: Es kommt langsam wieder zurück.

Sie leben jetzt seit einigen Jahren in Heidelberg. Vermissen Sie Ihre Heimatstadt Berlin?

van Almsick: Ich bin ja oft genug in Berlin. Ich lebe jetzt in Heidelberg mein ganz normales Leben. Ich habe eine Familie gegründet, klein und nett, gediegen und bodenständig. Ich bin so viel unterwegs, da ist es immer schön, wenn ich das Ortseingangsschild Heidelberg sehe. Ich fahre über den Neckar, sehe das Schloss in der Ferne und denke, ich bin im Urlaub. Hier finde ich meine Ruhe.

In einer anderen deutschen Stadt werden Sie jetzt ausgezeichnet. Ist Hamburg auch für Sie eine Sportstadt?

van Almsick: Ich hatte schon früher das Gefühl, dass Hamburg sehr gut vernetzt ist, alle miteinander reden und man viel tun will, besonders im Sport. Aber natürlich ist es schwierig, sich zu etablieren. Es gibt schon sehr gute Wettkämpfe in Hamburg, einige Klassiker wie Tennis am Rothenbaum, die Derbys, den Marathon. Aber ich finde, es könnte mehr sein. Ich persönlich würde mich darüber freuen.

Und wie realistisch sind Hamburgs Olympiaträume?

van Almsick: Olympische Spiele in Deutschland fände ich wundervoll. Ich würde jede Stadt unterstützen, die dafür infrage käme. Da mein Leben vom Element Wasser geprägt ist, sage ich: Wenn es in Deutschland eine Stadt gibt, die mit Wasser in Verbindung steht, dann ist es Hamburg. Und kann sie mir irgendwann als Olympiastadt sehr gut vorstellen. Wenn es so kommen sollte, gehe ich auch mit 70 noch mal am Stock zu den Wettkämpfen.