Mit Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka und Neo Rauch hinterfragt die Kunsthalle in Hamburg das Menschenbild des 20. Jahrhunderts.

Hamburg. Darauf muss man erst einmal kommen: ein berühmter Schweizer Symbolist, ein Protagonist der postrevolutionären Kunst der frühen Sowjetunion und der wichtigste Kopf der "Neuen Leipziger Schule" in einer gemeinsamen Ausstellung. Was die Kunsthalle ab heute mit ihrer Schau "Müde Helden" wagt, ist ein ziemlich unerwartetes künstlerisches Zusammentreffen, das sich dem Betrachter dennoch als plausibel erschließt. Denn die Linie, die die Kuratoren Hubertus Gaßner, Daniel Koep und Markus Bertsch von Ferdinand Hodler (1853-1918) über Aleksandr Dejneka (1899-1969) bis hin zu Neo Rauch (geb. 1960) ziehen, erweist sich auch jenseits aller gegenseitigen Beeinflussungen und Wechselbeziehungen als ein faszinierendes Panorama des Menschenbildes im 20. Jahrhundert - zwischen Utopie und Ernüchterung, Revolution und Resignation.

Die 90 meist großformatigen Gemälde, die in der Galerie der Gegenwart nicht chronologisch, sondern in thematischen Zusammenhängen präsentiert werden, weisen Hodler, Dejneka und Rauch gleichermaßen als Meister der figurativen Malerei aus, was für den Betrachter an sich schon ein Erlebnis ist. Aber wirklich faszinierend zu sehen ist, wie in ihren Werken jeweils das Menschenbild des unheilvollen 20. Jahrhunderts formuliert und reflektiert wird.

+++ Erster Blick in die Ausstellung "Müde Helden" +++

+++ "Müde Helden": Kunsthalle zeigt Schau um Neo Rauch +++

Der Heldenbegriff, den die Ausstellungsmacher schon im Titel gebrauchen, wird freilich gleich eingangs ironisch gebrochen: An den Wänden eines Raumes sind die Fotos der drei Maler völlig überdimensioniert an den Wänden zu sehen, während man deren Lebensläufe auf katafalkartigen Gebilden nachlesen kann.

Der Schweizer Ferdinand Hodler, der in ganz anderem Zusammenhang zeitgleich im Bucerius-Kunst-Forum zu besichtigen ist, war von etwa 1900 bis zum Ersten Weltkrieg in Deutschland ungemein populär. In seinen großen Figurenbildern ist einerseits noch ein Nachklang der Historienmalerei zu spüren, doch weisen sie andererseits ein neues und unbefangenes Verhältnis zur Körperlichkeit auf, worin sich ein Einfluss der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts ungemein wichtigen Lebensreformbewegung erkennen lässt. Die merkwürdigen Bewegungen seiner Figuren erinnern an den damals völlig neuen Ausdruckstanz, der Hodler enorm fasziniert hat. Besonders schätzte er seinen Landsmann Émile Jaques-Dalcroze, der in Hellerau bei Dresden eine Schule für Rhythmische Gymnastik gründete und dem Ausdruckstanz den Boden bereitete.

Von Hodlers Gemälde "Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813", das sich stationär in Jena befindet, ist in der Ausstellung eine Vorzeichnung zu sehen, die zeigt, mit welchem Pathos der Künstler hier Individuen zu Soldaten macht, die im Namen eines gemeinsamen Ziels in die Schlacht ziehen. Erstaunlich, dass sich der junge russische Maler Dejneka zehn Jahre nach der Oktoberrevolution ausgerechnet von dieser Komposition zu seinem Monumentalbild "Die Verteidigung von Petrograd" inspirieren ließ. Auch seine Komposition besteht aus zwei parallelen Ebenen, ist jedoch weit weniger pathetisch: Während im unteren Bereich Arbeiter als Soldaten in die Revolution ziehen, kehren sie auf einer darüberliegenden Brücke als Verwundete und Vereinzelte zurück.

Wie vielen Künstlern ging es Aleksandr Dejneka in der Frühphase der Sowjetunion darum, einen neuen Stil zu finden, in dem sich weniger die Lebenswirklichkeit als vielmehr das neue Lebensgefühl der postrevolutionären Gesellschaft widerspiegeln sollte. Dejneka malte "Neue Menschen" als Sportler oder als Arbeiter, die sich ihrer Körperlichkeit ohne Scheu bewusst waren, aber noch nichts mit den blutleeren Propaganda-Heroen späterer Zeiten gemein hatten. Erst 1932 postulierte das Zentralkomitee der KPdSU den "Sozialistischen Realismus" als verbindlich, obwohl sich zunächst niemand etwas darunter vorstellen konnte. Doch schon bald wurde er zu einer rigiden propagandistischen Kunstdoktrin, der sich auch Künstler wie Aleksandr Dejneka unterwerfen mussten.

Als Neo Rauch Anfang der 1980er-Jahre an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst zu studieren begann, war der Sozialistische Realismus zwar noch offiziell vorgegeben, hatte aber mit der jüngeren Kunstentwicklung faktisch nur noch wenig zu tun. Mit dem Heroismus, der noch in den Werken von Leipziger Malern wie Bernhard Heisig aufscheinen mochte, konnte Rauch nichts anfangen. Die Utopie hatte sich verbraucht, Rauchs Helden kämpften nicht mehr, sie hatten eher Albträume wie auf dem 2004 entstandenen Gemälde "Aufstand". Rauch bedient sich zwar gelegentlich der Motive des Sozialistischen Realismus, benutzt sie aber als Versatzstücke fragmentierter Erzählungen ganz ohne Verheißung.

"Müde Helden". Ferdinand Hodler, Aleksandr Dejneka, Neo Rauch. Galerie der Gegenwart. Bis 13.5., Di-So 10.00-18.00, Do bis 21.00