Verdrängung ist das Thema der deutschen Wettbewerbsbeiträge bei der Berlinale. Doch die Filme erzählen allesamt wunderbare, aufwühlende Geschichten

Berlin. Irgendwo im menschlichen Körper muss es einen Ort geben, an dem all die Kränkungen, unliebsamen Erinnerungen und Geheimnisse lagern, die an der Oberfläche nichts verloren haben. Einen Bunker des Schmerzes gewissermaßen. Von dieser Art der Verdrängung erzählen alle drei deutschen Wettbewerbsbeiträge.

In Matthias Glasners "Gnade" dominieren die Schuldgefühle der Protagonisten am offensichtlichsten: Die Hospizschwester Maria, gespielt von Birgit Minichmayr, überfährt auf dem Nachhauseweg ein Mädchen. Und weil das Polarlicht, das im norwegischen Hammerfest in diesen Tagen wie besinnungslos vom Himmel strahlt, sie im doppelten Sinne daran hindert, klarzusehen, steigt sie wieder ins Auto und braust in Panik davon. Was dieser Unfall in der Familie anrichtet, in der Ehe zwischen Maria und dem von Jürgen Vogel dargestellten Ingenieur Niels, der sich schon lange von seiner Frau entfremdet hat, davon erzählt "Gnade" in beeindruckenden Bildern.

Verdrängung ist auch das große Thema in Hans-Christian Schmids Familiendrama "Was bleibt", das zeigt, wie ein harmonisch angelegtes Wochenende im elterlichen Zuhause schon beim Begrüßungsgrillen eskaliert. Im linksliberalen, gutbürgerlichen Milieu hat Schmid seine Geschichte angesiedelt; der 600-Euro-Eames-Chair gehört genauso in diese Welt wie die offene Kochinsel samt Edelstahl-Dampfgarer. Lars Eidinger und Sebastian Zimmer spielen die beiden längst erwachsenen Söhne, die die familiären Annehmlichkeiten wie selbstverständlich in Anspruch nehmen, darüber hinaus aber einen Sicherheitsabstand zu den Eltern wahren.

Und auch Christian Petzold hat sich in "Barbara" (Kinostart: 8.3.) mal wieder auf jene Gefühle konzentriert, die unter der Oberfläche brodeln. Dafür braucht es natürlich hervorragende Schauspieler, in deren Gesichtern man lesen kann, die über Bande Gefühle zum Ausdruck bringen, kleine Wärmestöße spürbar und mit einem Blick jeden weiteren Satz überflüssig machen. Nina Hoss und Ronald Zehrfeld können das, Birgit Minichmayr und Jürgen Vogel ebenso, Lars Eidinger legt in seine müden Blicke eine ganze Biografie.

Alle drei Regisseure erzählen ihre jeweilige Geschichte in nur wenigenTagen. Es sind fein säuberlich von der Außenwelt abgetrennte Mikrokosmen, in denen sich die Handlung entfaltet: das zugeschneite Einsamkeitsörtchen in Norwegen, das großzügige Elternhaus in Waldnähe, das lichtgeflutete Krankenhaus, in dem Barbara ihrem Dienst nachgeht und mit dem Kopf ganz woanders zu sein scheint. Die in sich abgeschlossenen Räume tragen zur verlangsamten, wie gebremst wirkenden Erzählweise bei. Mehr Gefangensein als Aufbruch definiert die Stimmung.

Mehr persönlich als politisch ist das Credo der Protagonisten des deutschen Autorenkinos in diesem Berlinale-Jahrgang - was nicht bedeutet, sie interessierten sich nicht für das, was um sie herum passiert. Doch nicht das große Ganze wird auf den Plan gerufen, sondern ein winziger Ausschnitt. Eine Familie, eine Liebe. Gerade für Schmid ist diese präzise Familienaufstellung ungewöhnlich. Glasner wiederum, der viele Jahre im Abaton-Kino als Filmvorführer arbeitete, hat wohl noch nie eine so innig-zärtliche Liebesgeschichte erzählt. Und Petzold schenkt dem Publikum ein für ihn seltenes Happy End, ein Paar nämlich, das eine gemeinsameZukunft haben könnte.

Vielleicht ist das die große Überraschung der drei Beiträge: Obwohl es Filme über die Einsamkeit sind, lassen sie den Zuschauer nicht allein. Sie nehmen ihn an der Hand, führen ihn an Orte, an denen man sich nicht gern aufhält. Es sei denn, man bekommt so wunderbar aufwühlende Geschichten erzählt wie in "Barbara", "Was bleibt" und "Gnade".