Liebeserklärungen, rote Rosen und Standing Ovations für den 77-Jährigen

Hamburg. Man kann es ruhig vorwegnehmen: Nach einem mehr als zweistündigen Konzert am Sonnabend in der rappelvollen O2 World sitzt Schlagerstar Udo Jürgens in weißem Bademantel an seinem schwarzen Schimmel-Flügel und singt seinem Publikum noch ein intimes Ständchen. Er singt von den schönen Stunden - "Merci, merci, für die Stunden Chérie". Und die Stunden gestalten sich, wie man es von dem 77-Jährigen kennt. Bademantel und Schimmel gehören ebenso zu Jürgens' Kosmos aus Liedern und Gesten wie roten Rosen, Standing Ovations und junge Frauen, die Jürgens frech das rote Einstecktuch aus dem schwarzen Anzug stibitzen, während sie mit Briefen und Blumen vor der Bühne stehen.

Doch zu Beginn heißt es erst mal: "Noch drei Minuten." Während der blaue Samtvorhang zwischen dem Sänger und den mehr als 10 000 Gästen hängt, singt er in seinem traditionellen Eröffnungsstück vom Lampenfieber und dass diese Stunden auf der Bühne jedes Mal seien, als fliege er, als versinke die Welt um ihn. Darum singt er, lebt er - das Publikum dankt es ihm schon vor dem ersten richtigen Lied mit "Udo, wir lieben dich"-Rufen.

Udo Jürgens beginnt sein Set mit ein paar Stücken seines im vergangenen März erschienenen Albums "Der ganz normale Wahnsinn": "Schenk mir einen Traum", "Dafür brauch ich dich" oder "Gegen den Wind". Allesamt handeln auch die neuen Songs von Liebe und Aufbruch, davon, sich gegen den Wind zu stellen, weil nur dieser Auftrieb gibt. Doch es gibt auch Sozialkritisches: Zu einem groovenden Südseerhythmus des Pepe-Lienhard-Orchesters singt Jürgens in "Du bist durchschaut" vom gläsernen Facebook-Menschen und von Kameraüberwachung.

Natürlich kommen die Klassiker ebenfalls zum Einsatz bei diesem Konzert, das rund 30 Lieder umfasst. Zur Freude der prototypischen Schlagermove-Besucher, die sich mit reichlich Pflaumenschnaps im Blut grölend Hits wie "17 Jahr, blondes Haar" und "Aber bitte mit Sahne" hingeben. Glücklicherweise sind diese Stücke in kleinen Medleys zusammengeschnürt, damit sich Jürgens eher den Balladen widmen kann und keine stumpfe Hit-Schau präsentiert. In diesem Sinne besonders ansprechend ist die Version von "Ich war noch niemals in New York", die im Refrain in Frank Sinatras "New York"-Hymne übergeht und stimmengewaltig von seinem Chor-Quartett The Voices mitgesungen wird.

Nachdem Jürgens den Auftakt seiner Tournee wegen einer Erkältung vor zwei Wochen verschieben musste, macht er auf der Bühne der O2-World-Arena eine gute Figur. Aber schließlich ist 77 ja auch nur eine weitere Schnapszahl, die den Beginn eines neuen Lebens markieren kann.