Regisseur Niki Stein gelingt im ZDF-Drama “Vater Mutter Mörder“ das beinahe Unmögliche: Er erzählt die Geschichte eines unglaublichen Mordes ohne Effekthascherei

Wer vergessen hat, wie die heile Welt ausschaut, hier blitzt sie kurz auf: Die Sonne liegt goldgelb am Horizont, Scheunentore knarzen, irgendwo wiehert ein Pferd. Als hätte man Bullerbü in Deutschland zusammengeschraubt. Eine Gegend, in der die Haustüren bestimmt nur angelehnt werden. Nur wenige Minuten gönnt Regisseur Niki Stein dem Zuschauer den Blick aufs ländliche Idyll, dann entlarvt er es als Ort des Grauens. Ein Leichenwagen rollt die Straße entlang, Särge werden aus einem Haus geschleppt, um das Absperrband der Polizei herum drängen Schaulustige, darunter der Fotojournalist Tom Wesnik. An ihn gerichtet sagt der Kommissar die Worte, die mehr ein Faustschlag sind als ein Satz: "Ihr Sohn hat drei Menschen erschossen." Heino Ferch, der Wesnik spielt, guckt, als wäre er gerade vom Leben überfahren worden; er wird sich den ganzen Film nicht mehr davon erholen.

Gäbe es einen Preis für den besten Epilog, die Studio-Hamburg-Produktion "Vater Mutter Mörder" müsste ihn gewinnen (und noch ein paar weitere Preise obendrauf, für das beste Drehbuch etwa). Von Fällen wie diesen liest man in der Zeitung. Und glaubt es dann doch nicht. Ein Jugendlicher bricht aus der heilen Familienwelt aus, begeht eine Wahnsinnstat. Mit derselben Gelassenheit, als würde er Frühstücksbrötchen beim Bäcker holen. "Die waren wie immer", sagt die kleine Schwester über ihren Bruder Lukas und dessen Freund Dennis, bevor diese sich auf den Weg zu den Opfern gemacht haben, die Eltern einer Klassenkameradin. Und später dann, hat Lukas Dennis erschossen.

Niki Stein gelingt das beinahe Unmögliche: Er erzählt die Geschichte ohne jegliche Effekthascherei, wie mit angezogener Handbremse. Und doch ungeheuer spannend. Zögernd bewegt sich der Film vorwärts, tritt hier und dort auf der Stelle, als taste er sich gleichsam mit dem Zuschauer an die schreckliche Wahrheit heran. Und die geht, wie das Ehepaar Wesnik es auch drehen und wenden mag, immer noch so: 16-Jähriger erschießt grundlos und kaltblütig drei Menschen. Er ist nicht geisteskrank, er wurde nicht verprügelt in seiner Kindheit, vernachlässigt, gedemütigt. Nein, er bekam ein Pferd geschenkt; die Bilder, die er als Kind gemalt hat, hängen gerahmt im Flur.

Lukas (Merlin Rose) ist ein Junge mit weicher Haut und todtraurigen Augen, der aufgehört hat, Kind zu sein, als seine Eltern kurz nicht hingeschaut haben. Heino Ferch ist ohnehin immer dann am besten, wenn er nicht viele Worte machen muss, wenn er als einer dieser undurchschaubaren Typen alter Schule besetzt ist. Hier schafft er es, dass man die Bilder der blutigen Tat zu sehen meint, die von innen gegen seine Augäpfel pochen - und in diesem Film ist es ausnahmsweise einmal gerechtfertigt, dass Ferch ungefähr dreimal so häufig in Großaufnahme gefilmt wird wie jeder andere deutsche Schauspieler. Silke Bodenbender als seine Frau Esther redet mit leerer kleiner Stimme, versucht Erklärungen zu finden für etwas, das nicht zu erklären ist. Er schreit: "Was ist das für eine Scheiße in seinem Kopf." Sie sagt: "Er bleibt dein Sohn." Beide haben recht, nur ändern wird es nichts. Höchststrafe, erklärt die Anwältin. Zehn Jahre, raus in acht. Doch weder wandelt sich "Vater Mutter Mörder" zum Gerichtsdrama, noch reißt eine spektakuläre Wendung den Film auf den letzten Metern herum. Der Film bleibt bis zum Schluss unter seiner Dunstwolke. Als vom Fernsehen mit Erklärungen verwöhnter Zuschauer muss man das erst mal aushalten, diesen ungewohnten Zustand der Ratlosigkeit. So wie die dies Eltern ertragen müssen: Auf die Frage nach dem Warum gibt es manchmal keine Antwort.

"Vater Mutter Mörder" ZDF-Montagsdrama, 13.2., 20.15 Uhr