Wenn Henry Rollins von seinem Leben erzählt, hören alle gebannt zu

Hamburg. Früher war Henry Rollins der wütende Mann ohne Hals. Als Frontmann von Black Flag und der Rollins Band tobte dieser tätowierte, muskelbepackte Brocken Mensch über die Bühnen und brüllte seinen Zorn heraus. Heute hat er ein anderes Ventil für die anscheinend nie versiegende Energie gefunden, die ihn antreibt.

In der ausverkauften Fabrik steht am Mittwoch ein Mikrofon auf der Bühne. Sonst nichts. Davor drängeln sich die Eingeweihten um die letzten Sitzplätze. Arglosere Gemüter stehen herum, als Rollins um 20 Uhr die Bühne betritt, sich das Mikrofonkabel in bewährter Sängermanier um die Hand wickelt und anfängt zu reden. Erst 165 Minuten später hört er wieder auf. Er macht keine Pause, er verhaspelt sich nicht ein einziges Mal.

Man taucht fast drei Stunden lang ein in einen Mahlstrom aus Gedanken, der Rollins' Leben, Ansichten und Erfahrungen zu einem monumentalen Ganzen verknüpft, das einen völlig erschlagen zurücklässt. Er spricht von Nacktfotos, die ihm eine 16-Jährige geschickt habe. Das Publikum lacht. Dann erklärt er, dass diese Schülerin ihn gebeten habe, sie "zu beurteilen". Sie habe wissen wollen, ob Jungs sie attraktiv finden könnten. Rollins spricht über Selbstbewusstsein, über das lange Gedächtnis des Internets, über fehlgeleitetes Vertrauen. Das Lachen stockt.

Ob er sich über die Bush-Regierung und die republikanischen Präsidentschaftskandidaten lustig macht oder eine Fahrt mit seiner Mitarbeiterin Heidi "The Demon" May zum Einkaufszentrum in seinem "urinfarbenen Subaru" in epischer Breite schildert, von Reisen nach Indien, China, Nordkorea und Kuba berichtet: Nie ist Rollins bloßer Unterhalter. Er hat eine Botschaft, die überrascht, wenn man die bebilderte Hülle des fast 51-Jährigen betrachtet: "Seid freundlich zueinander."