Hamburg. Ein Jahr nach ihrem triumphal aufgenommenen, aber noch höchst übersichtlich besuchten Konzert mit dem Ensemble Le Musiche Nove war jetzt die Hütte voll, als Simone Kermes in die Laeiszhalle zurückkehrte. Die stets imposant gekleidete Koloratursopranistin mit dem feuerroten Haar trat in braungoldener Robe überm Reifrock vors Publikum, ließ ihre Beine bis zum Knie sehen und also auch ihr Schuhwerk, das so erdgebundenem Tun wie dem Singen wenig zuträglich scheint. Absatzhöhe in Zentimetern: auf jeden Fall zweistellig. Da wird's einem (Mann) schon vom Zusehen schwindlig.

Lag's an ihrem ergonomisch bedenklichen Stand, dass die tiefen Töne der Simone Kermes diesmal recht verhalten klangen? Im ersten Konzertteil trat sie zudem mit einer arg betulichen, melodisch überwiegend auf Dreiklangsbrechungen beruhenden Motette des wackeren Flötenlehrers Johann Joachim Quantz in Erscheinung, die dem Vergessen entrissen zu haben zu den entbehrlichen musikarchäologischen Taten gezählt werden muss. Die Kermes setzte ihre Koloraturen punktgenau, aber das Material verlangt von ihr genau das, was sie eigentlich verachtet: gesangstechnischen Show-off.

Auch wirkte das Concerto Köln nicht in seiner allerbesten Form. Der Solofagottist blies sonderbar harthörig neben den Kollegen her, und bei Telemanns schmissigem, überraschungsreichen Konzert F-Dur "Per L'orchestra di Dresda" nach der Pause unterliefen dem ohne Dirigenten auftretenden Ensemble Schnitzer hinsichtlich Koordination und Intonation gleich in Serie.

Erst bei der Vivaldi-Arie "Gelido in ogni vena" kam im Donnervogel Kermes die Mondseite zum Vorschein, jenes intime Reich der Zwischentöne, das sie mit hinreißend genau geführten Farben als einen Zaubergarten feiner Klänge inszeniert. Entsprechend zart der Rausschmeißer: Händels "Lascia ch'io pianga", eine der schönsten Pop-Balladen des Barock. Der heftige Jubel rührte sie fast zu Tränen.