Aus seinen St.-Pauli-Jahren kennt Vadim Glowna Stripteaseläden und Bandenkämpfe. Der Darsteller und Regisseur wurde 70 Jahre alt.

Fange nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen. Urheber dieses Cicero zugeschriebene Zitat hätte auch Vadim Glowna sein können. Der Schauspieler, Regisseur und Autor Glowna hat sich dem Kino ausgeliefert mit einer Unbedingtheit, die selten ist in der deutschen Filmlandschaft. Niemals hat er sich begnügt mit dem Naheliegenden; stets angespielt, angedreht gegen den Stillstand, den Mainstream, das Verdruckste. Und so löst die Nachricht, dass Vadim Glowna im Alter von 70 Jahren gestorben ist, nicht nur Traurigkeit aus um einen der herausragenden Schauspieler hierzulande. Sondern auch Erstaunen: Was, jetzt schon?

Jung gehalten hat ihn dieser ewige Aufbruch, der in ihm brodelte. Zugleich umfasst seine Karriere weit mehr als 100 Rollen. Mit seinem Gesicht, geprägt von der markanten Nase, den funkelnd-wachen Augen, verbinden sich Fernseherlebnisse einer ganzen Generation - von "Derrick" über "Ein Fall für Zwei" bis zum "Tatort". Seine heisere, leicht ausgezehrte Stimme klingt Millionen von Zuschauern im Ohr.

Im schleswig-holsteinischen Eutin geboren, auf St. Pauli aufgewachsen, besuchte er die Hamburger Schauspielschule, Gustaf Gründgens holte ihn ans Schauspielhaus. Tavernier, Peckinpah, Chabrol - die Liste großer Regisseure, mit denen er gearbeitet hat, ist lang. Und immer wieder hat er mit Oskar Roehler gedreht, mit dem er sich kongenial ergänzte. Zwei Künstler mit Hang zur Verausgabung, Verschwendung. Zwei Seelen, in denen ein unbändiges Mehr-Wollen pocht - mehr Glück kann es nicht geben für eine Kunstform wie den Film. Als sterbensmüden, misanthropischen 68er-Indianer hat Roehler Glowna in "Agnes und seine Brüder" besetzt. Preisgekrönt ist seine Darstellung als versoffener Ehemann in "Die Unberührbare".

+++ Der Name Glowna war eng mit dem Schauspielhaus verknüpft +++

Seemann, Taxifahrer und Page war er, bevor er zur Schauspielerei kam. So jemand weiß eine Menge vom Leben; auch Bandenkämpfe und neonbeleuchtete Stripteaseläden kennt er aus seinen St.-Pauli-Jahren. Es wundert also nicht, dass Glownas Herz für andere Rollen schlug als die des Saubermanns im Vorabendfernsehen. Untröstliche hat er gespielt, Liebesverlierer, Außenseiter, Unerlöste. Er hatte wagemutig trostlosen Sex vor der Kamera und setzte in seiner Inszenierung "Das Haus der schlafenden Schönen" eine Altherrenfantasie in betörend-düstere Bilder um. Vadim Glowna hat sich stets exponiert, sich nie begnügt mit dem, was anderen gut genug schien. Der Hamburger Autor und Regisseur Lars Becker hat ihn in einer Folge seiner legendären "Nachtschicht"-Reihe als blinden Obdachlosen besetzt. "Er war ein großartiger Schauspieler und Mensch", erinnert sich Becker. "Einer, der vorbehaltlos auf Menschen zugegangen ist, egal ob es sich um einen Schauspielschüler, Theaterkollegen oder Hip-Hop-Musiker gehandelt hat."

Und nicht zuletzt hat Vadim Glowna, dieses Ausnahmetalent, einen der schönsten Hamburg-Filme gedreht. Die Großstadtballade "Desperado City", sein Regiedebüt, wurde 1981 beim Festival in Cannes ausgezeichnet. Der Film spielt im Milieu zwischen Eimsbüttel, Altona und St. Pauli; es geht um Amerika, den Wilden Westen und die unstillbare, unauslöschliche Sehnsucht nach einer anderen Welt. Die Welt des Fernsehens, des Kinos jedenfalls ist eine ärmere, seit Vadim Glowna am Dienstag nach kurzer schwerer Krankheit in Berlin gestorben ist.