Der unkonventionelle Musikkabarettist aus Bavaria, “Geheimtipp der Verirrten“, passt in kein Format. Morgen spielt und liest er im St.-Pauli-Theater.

St.-Pauli-Theater. Entspannt schaut er aus, der Herr, der da am Vormittag an der Kaffeetasse nippt. Fast zu normal, um Georg Ringsgwandl zu sein. Fiel der nicht immer ob seiner schrillen Optik auf? Geschminktes Gesicht, wahlweise Hut oder Frauenperücke, Kleid oder Damenbadeanzug und Nylonstrumpfhosen - so trat er in der Fabrik und im St.-Pauli-Theater auf. Jetzt ist nur die etwas speckige Lederjacke, die über dem Stuhl hängt, für einen 63-Jährigen wie ihn eher ungewöhnlich.

Unkonventionell, das war der bayerische Künstler schon immer.

Kabarettist und Liedermacher ist er, ebenso Arzt. Pardon, Herr Doktor, da müssten sich doch Talk- und Kleinkunst-Shows wie "Ottis Schlachthof" um ihn reißen? "Da bekomm ich alle vier bis fünf Jahre mal eine Einladung", sagt Ringsgwandl ohne Groll. Dort, am Stammtisch, kämen ja ohnehin keine Dialoge zustande, meint Ringsgwandl. Alles abgesprochen. Nein, er taugt nicht zum Stammtischbruder: "Ich tue mir das nur an, wenn es wirklich sein muss." Auch zur ZDF-"Anstalt" wurde er in fünf Jahren nie eingeladen.

Dabei würde Ringsgwandl dort hineinpassen. Er, den "Die Zeit" mal als "Geheimtipp der Verirrten und Oberarzt des Punk" bezeichnet hat.

Ringsgwandl war noch nie ein Mann des Mainstream, einer für den Massengeschmack. "Ich bin kein klassischer Kabarettist, der politische Statements macht und Sprüche über die Merkel." Lieber macht er Musik.

Und das schon, seit er als Siebenjähriger in Bad Reichenhall Zither und Posaune lernte. Später, mit 18, brachte er sich während eines achtmonatigen Sanatoriumsaufenthalts wegen Lungentuberkulose das Gitarrespielen bei. Der Traum vom Musikstar war für Ringsgwandl greifbar: Nach Abschluss seines Medizin-Examens in Kiel Mitte der 70er wollte ihn sein Manager ins Rockgeschäft bringen. Resultat waren eine Ladenhüter-LP und 30 000 Mark Schulden für jeden der beiden. Die arbeitete Ringsgwandl zwar erst als Assistenzarzt in München und später als Oberarzt der Kardiologie Garmisch ab, konnte aber parallel nicht von seiner Passion lassen: Mit seinem ersten Programm "Gurkenkönigs Hausfrauenshow" trat er - verkleidet und unter Pseudonym - auf Kleinkunstbühnen im Süden auf. Doch sein Doppelleben flog irgendwann auf. Nachdem er Ende der 80er-Jahre seine ersten beiden Kleinkunstpreise gewonnen hatte, gab er 1993 den Arztberuf auf. "Jeder Preis sucht unerbittlich seinen Träger", zitiert er seinen Kollegen Gerhard Polt. Im Gegensatz zu dem hat Ringsgwandl sogar ein Musical ("Die volle Wahrheit über Ludwig II.") geschrieben. Die Titelrolle spielte er selbst.

Auf Tourneen gewöhnte sich Ringsgwandl an, zwischen seinen Liedern Geschichten zu spinnen und diese andernorts kreislaufartig weiterzudrehen. Was etwa passiert, wenn er in einem Ort mit 98 Prozent CSU-Wählern trotz Verbots Schnee in den Fluss schiebt und dieser dann woanders schadet? "Reisende Moritaten" nennt er das oder auch - begleitet von einem Lächeln - "Traveling Tales". Derartige Fantasien und Alltagsabsurditäten hat Ringsgwandl im Vorjahr in seinem ersten Buch "Das Leben und Schlimmeres" zusammengefasst. Kürzlich ist bei Rowohlt die vierte Auflage erschienen. "Damit habe ich nicht gerechnet", kommentiert der Vater dreier erwachsener Töchter den Überraschungserfolg.

Und so wird er bei seinem morgigen Gastspiel im St.-Pauli-Theater auch daraus lesen. Außerdem spielt er eine Auswahl seiner Songs aus 35 Jahren, aber "in Wohnzimmerlautstärke" mit einem Akustik-Trio. Statt des schrillen dürfte auch der dezente Ringsgwandl ankommen: "In Hamburg gab es schon immer eine größere Begeisterung für mich als im Süden." Und wer genau hinsieht und hinhört, sollte Ringsgwandl auch ungeschminkt wiedererkennen.

"Das Leben und Schlimmeres. Songs und Geschichten" Do 26.1., 20.00, St.-Pauli-Theater (S Reeperbahn), Spielbudenplatz 29/30, Karten zu 15,80 bis 29,- unter T. 47 11 06 66