Das Hauptstadt-Tanzensemble Dorky Park gastiert mit “Berlin Elsewhere“ am 24. und 25. Januar bei den Lessingtagen im Thalia-Theater.

Hamburg. Mit "Megalopolis" von Constanza Macras fegte das Berliner Tanzensemble Dorky Park bei den Lessingtagen 2011 über die Bühne. Der Auftritt machte mächtig Eindruck, faszinierte und verstörte gleichermaßen das Thalia-Publikum durch den energetischen, mimisch enthemmten und riskanten Körpereinsatz der Tänzerinnen und Tänzer. Und das, da doch die Hamburger auf Kampnagel bereits mehrfach Gelegenheit hatten, die "wilden" Macras-Arbeiten zu sehen. Jetzt stürmt ihre Truppe wieder das gediegene Alstertor-Haus - diesmal mit "Berlin Elsewhere".

Wie der Titel bereits andeutet, ist es kein Stück über Berlin. Das stellt die seit 16 Jahren an der Spree lebende und arbeitende Choreografin zu Beginn jeder Aufführung und im Gespräch klar. Aber das Gastspiel von Dorky Park und der Berliner Schaubühne sei durchaus im Kontext der vorigen Stücke "Brickland" und "Megalopolis" zu sehen. In beiden beschäftigte sich Macras mit den Problemen urbaner Lebensräume. "Und im dritten Teil sind es die konfliktträchtigen Spannungspole in der Großstadt: der Wunsch nach sozialer Integration einerseits und die faktische Trennung in Bezirke von Arm und Reich oder in national dominierte Communities andererseits."

Für "Berlin Elsewhere" ließ sich die Choreografin durch Michel Foucaults "Wahnsinn und Gesellschaft" inspirieren. "Aber eine große Quelle für mich ist ebenso die Komplexität der Stadt, in der ich lebe", sagt Macras. "Sie liefert mir verschiedene Schichten von Geschichten." Im Stück geht es ihr um die psychischen und physischen Auswirkungen auf den Einzelnen, das Individuum. "Egal, ob es sich um Immigranten, Illegale ohne Papiere oder Schwule handelt, sie leben oft isoliert oder bedroht von Ausgrenzung." In ihrer Szenencollage gebe es zwei Geschichten, die sind wirklich erlebt, wie Macras sagt, nach kurzer Pause bemerkt sie zweideutig: "Mehr oder weniger. Wie die anderen mehr oder weniger erfunden sind."

Schon öfter hat die Choreografin hören müssen, es sei kein Tanz, was sie zeige. Tatsächlich ist sie an schönem Tanz im Sinn von Ballett, an der perfekten synchronen Bewegung oder virtuoser Showkunst nicht interessiert. "Hat doch nichts mit heute zu tun", sagt sie lapidar. Die Schönheit ihrer Tanzstücke ist von einer anderen, direkten und zeitgemäßen Art.

Um das Leben der Gegenwart geht es auch ihrem flämischen Kollegen Wim Vandekeybus, einem der Pioniere des belgischen Tanztheaters, das Ende der 1980er-Jahre die westeuropäische Tanzszene aufmischte. Vandekeybus und seine Compagnie Ultima Vez gehörten auch zu den Entdeckungen und Stars der Sommertheaterfestivals auf Kampnagel. Er hat 1991 seinem Hamburger Freund, dem 89 Jahre alten Varieté-Künstler und Tänzer Carlo Verano, das einfühlsame Porträt "Immer das Selbe gelogen" gewidmet. Der Choreograf hat sich als Performer (in Jan Fabres Solo), als Fotograf und Regisseur bewährt, schuf unzählige Produktionen und kommt nun nach längerer Pause mit dem Jugendprojekt "Radical Wrong" ins Thalia in der Gaußstraße. Die Produktion sei ein Härtetest für ihn gewesen, gibt der Choreograf zu. "Es ist eine Performance, in der ich nicht mehr existiere", sagt er. Die jungen Leute hätten die Führung übernommen, um über sich und ihr Leben zu berichten.

Hier könnte man einwenden, es sei doch völlig falsch, sich das Heft aus der Hand nehmen zu lassen. Vandekeybus sieht das anders, und er sagt: "Der rebellische Geist von Teenagern ist viel wichtiger für mich, als die Meinung des Establishments, das ihnen die Bedeutung von Dingen vorgibt und was man zu denken hat."

In einem Punkt ähneln sich die beiden Tanzproduktionen: Hier sind junge Leute von unterschiedlicher Herkunft und aus verschiedenen Kulturkreisen zu erleben, die, angetrieben von der Lust, Kraft und Verzweiflung der Körper, sich ihre Existenz, Freuden, Rechte und Räusche erkämpfen.

"Berlin Elsewhere" 24./25.1., 20.00, Thalia-Theater (U/S Jungfernstieg), Alstertor 1, ab 9,50

"Radical Wrong" 27./28.1., 20.00, Thalia Gaußstraße (S Altona), Gaußstraße 190, Karten zu 26,- unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de