Erneut spielt Leonardo DiCaprio ein Schwergewicht der US-Geschichte. Diesmal brilliert er als FBI-Boss J. Edgar Hoover in der Filmbiografie “J. Edgar“.

Wissen ist Macht. Dieser Erkenntnis verdankte J. Edgar Hoover eine beispiellose Karriere als Chef des FBI, dieser ebenso legendären wie gefürchteten Bundesbehörde, der er 48 Jahre vorstand. Calvin Coolidge, Herbert Hoover, Franklin D. Roosevelt, Harry S. Truman, Dwight D. Eisenhower, John F. Kennedy, Lyndon B. Johnson und Richard Nixon: Die US-Präsidenten kamen und gingen, doch Hoover saß all die Jahrzehnte fest im Sattel und baute seine Macht kontinuierlich aus. Vor allem dank einer Art Vorratsdatenspeicherung, die auch jene in Schach hielt, die ihm formal übergeordnet waren. Ob Senator oder Präsidentengattin, Hoover hatte stets in ihrer Vergangenheit schnüffeln lassen, dunkle Punkte entdeckt und Geheimakten angelegt, deren Existenz er nur andeuten musste, um seine Ziele zu erreichen. Die Mächtigen, sie zitterten vor ihm und wussten nicht, dass sich unter der Oberfläche des Law & Order-Hardliners eine gebrochene Seele verbarg, die selbst viele Angriffspunkte bot.

Von dieser unbekannteren Seite des J. Edgar Hoover erzählt Clint Eastwoods Filmbiografie, die sich zunächst einmal auf einen brillanten Leonardo DiCaprio stützen kann, der die Gebrochenheit dieses Mannes, seine Geltungssucht und Mutterfixierung, seine unterdrückte Homosexualität und kriminalistische Innovationskraft locker aus dem Maßanzug schüttelt. Schon einmal, in Martin Scorseses "The Aviator", hatte DiCaprio ein Schwergewicht der US-Geschichte (Howard Hughes) verkörpert, jetzt gelingt es ihm erneut, eine historische Figur mit Leben zu füllen. So gut, dass die Oscar-Nominierung in Kritikerkreisen als ausgemachte Sache gilt.

Doch "J. Edgar" ist mehr als nur ein Psychogramm. Eastwood, dieser altersweise Routinier, der die Geschichte mit großer Gelassenheit und ruhiger Hand ausbreitet, zeichnet hier auch gesellschaftliche und politische Verwerfungen nach. Beginnend 1920 mit den sogenannten Palmer Raids, Massenverhaftungen von Mitgliedern und Sympathisanten der Kommunistischen Partei der USA. "Kommunismus ist eine Seuche", urteilt Hoover, der 1924 zum Leiter des FBI ernannt wird und davon träumt, Fingerabdrücke sämtlicher US-Bürger zu archivieren, um Kriminelle schneller fassen zu können.

Stolz ist seine Mutter (Judi Dench) auf ihren erfolgreichen Sprössling, aber auch gnadenlos, als sie zu ahnen beginnt, dass ihr Edgar sich womöglich mehr für Männer als für Frauen interessiert. "Dann hätte ich lieber einen toten Sohn", sagt sie - und zementiert damit Hoovers lebenslange Selbstverleugnung, die es ihm nicht erlaubt, die viele Jahrzehnte umspannende Beziehung zu seinem Mitarbeiter Clyde Tolson (Armie Hammer) vollends auszuleben - es bleibt bei gemeinsamen Mahlzeiten und Rennbahn-Besuchen. Dass Frauen nichts für ihn sind, ist da schon länger klar. Spätestens als er seine Sekretärin Helen Gandy (Naomi Watts), die ihm ebenfalls bis zum Tod treu zur Seite steht, bei einem Date in die Nationalbibliothek führt und begeistert das von ihm entwickelte Karteikartensystem erläutert. Ein romantischer Abend sieht anders aus.

Und eine fröhliche Zeit auch. Eastwood zeigt ein Amerika der Sepiatöne. Ein Amerika, in dem nur selten die Sonne scheint, schwere dunkle Möbel die Büros dominieren und die Angst zur Triebfeder des Denkens und Handelns geworden ist. Die Angst vor der "roten Gefahr", aber auch die Angst vor der gesellschaftlichen Abweichung, vor unerlaubten Gefühlen, unerfüllten Sehnsüchten. "Meine Arbeit steht an erster Stelle", sagt Hoover einmal und diesen calvinistischen Zug verlangt er auch von seinen Agenten. Wer sich nachlässig kleidet, fliegt. Wer ihm in den Weg kommt, wenn es darum geht, sich in Erfolgen wie der Festnahme von Schwerbrechern zu sonnen, wird versetzt. Hoover, das zeigt dieses Drama, war ein unbarmherziger Moralist, der es selbst mit der Moral nicht immer ernst nahm. Für ihn heiligte durchaus der Zweck die Mittel, was auch Richard Nixon wusste, der nach dem Tod des FBI-Patriarchen am 2. Mai 1972 seine Leute losschickte, um Geheimakten, die ihn belasten könnten, sicherzustellen. Doch die Männer des Präsidenten fanden nur leere Schränke vor. Das Wissen, das Macht bedeutet, es bleibt bis heute an einem unbekannten Ort verwahrt.

Bewertung: empfehlenswert

J. Edgar USA 2011, 136 Minuten, ab 12 Jahren, R: Clint Eastwood, D. Leonardo DiCaprio, Naomi Watts, Armie Hammer, Judi Dench, täglich im Cinemaxx, Streit's (OF), Studio-Kino (OmU), UCI Mundsburg; www.j-edgar.de