Alexander Sokurows Literatur-Adaption “Faust“ ist ein kunstvolles Unternehmen und bekam in Venedig bereits den Goldenen Löwen verliehen.

Die Studierstube des Dr. Johann Faust ist ein dunkles, versifftes und armseliges Loch, und wenn das unsere Vergangenheit ist, dann können wir froh sein, ihr entronnen zu sein. In Alexanders Sokurows Goethe-Adaption "Faust" ist das Deutschland des 18. Jahrhunderts ein stinkender und rauer Flecken Erde, in dem die Vernunft den Siegeszug noch längst nicht angetreten hat: Sie fordert im Gegenteil den allmächtigen Gott der Säufer und Hungerleider heraus.

Gleich die erste Szene in Sokurows Film ist an Naturalismus kaum zu überbieten. Faust und sein Famulus Wagner schneiden eine Leiche auf, die Innereien klatschen auf den Boden. Wagner fragt: "Wo ist die Seele?". Faust antwortet: "Es geht auch ohne."

Damit ist das Drama vorgegeben für einen Mann, der seine Seele an den Teufel verkaufen wird. Das Leben hat an Wert verloren, der Tod aber auch: Wer glaubt schon an die Rettung im Paradies? Weder Geld noch Lebenssinn findet Faust in diesem Leben, und so ist der Beelzebub die Lichtgestalt: und das andere Prinzip. Es ist in Faust angelegt, Faust und Mephisto, der bei Sokurow in Gestalt eines Geldleihers auftritt, ziehen sich gleichsam magnetisch an: Johannes Zeiler (als Faust) und Anton Adasinsky (Mephisto) schwanken und wanken umeinander; sie tänzeln und taumeln im Zwielicht.

Es ist eine ganz widerliche Beziehung, die Faust und Mephisto miteinander verbindet: Sokurow illustriert sie in starken Bildern und Szenen, die vom Effekt des Wechsels von Licht und Schatten leben. Fausts Wissensdurst ist in dieser Ausarbeitung des Stoffes nicht zu trennen von der Armut des Hungerleiders; überdies betont Sokurow den Don-Juan-Charakter des Doktors. Das Faustische äußert sich in seinem Werben um Gretchen. Das Finale der stellenweise als symbiotisch dargestellten Übereinkunft von Faust und Mephisto wurde in Island gedreht. Vor naturgewaltiger Kulisse bringt sich das Paar gegenseitig zur Strecke: Faust ist als moralisches Wesen völlig vernichtet. Sein Scheitern wurde bereits lange vorher im beinah bedauernden Blick des Teufels vorweggenommen. Dieser quittiert Fausts Einwilligung in den Pakt.

Der "Faust"-Stoff, von einem Russen in deutscher Sprache verfilmt: In Venedig kam das gut an. Die Jury um Darren Aronofsky verlieh ihm den Goldenen Löwen. "Faust" ist der letzte Teil von Sokurows Tetralogie über die Macht.

Bewertung: empfehlenswert

Faust Russland 2010, 134 Min., ab 16 J., R: Alexander Sokurow, D: Johannes Zeiler, Isolda Dychauk, täglich im Abaton; www.mfa-film.de