Johannes Fabricks ARD-Drama “Der letzte schöne Tag“ erzählt vom Selbstmord einer Ehefrau und Mutter. Hauptrolle: Wotan Wilke Möhring.

Schon seltsam, was manche Menschen tun, bevor sie sich das Leben nehmen. Streu ins Katzenklo füllen zum Beispiel. Wäsche aufhängen. Den Monatsbeitrag fürs Fitnessstudio überweisen. Als läge in dieser Ordnung der alltäglichen Dinge etwas Beruhigendes. Eine Art Ruhe vor dem Sturm. Sybille (Julia Koschitz) arbeitet eine Telefonliste ab: Mutter, Ehemann, Tochter, Sohn. Ist der Junge nach Schulschluss beim Klassenkameraden zum Spielen? Der Mann auf der Baustelle und nicht ungeplant auf dem Nachhauseweg? Dann fährt sie in den Wald und setzt sich eine tödliche Spritze. "Ich habe lange gekämpft gegen den Wunsch zu sterben, aber die Krankheit ist stärker als ich", so steht es in ihrem Abschiedsbrief.

Mehrere Zehntausend Menschen jährlich müssen hierzulande mit dem Suizid eines Angehörigen fertigwerden. Der nüchternen Zahl stellt Autorin Dorothee Schön eine ergreifende Geschichte gegenüber. "Der letzte schöne Tag" erzählt davon, wie der Familienalltag vom Tod gänzlich überfahren wird und wie trotzdem alles seinen gewohnten Gang geht. Gehen muss. "Soll ich zum Schwimmen gehen heute Nachmittag?", fragt der siebenjährige Sohn, nachdem er vom Tod der Mutter erfahren hat. Maike, die ältere Schwester, schickt ihrer Freundin eine SMS: "Meine Mutter ist tot." Und Vater Lars (Wotan Wilke Möhring) bereitet das Mittagessen zu, Rührei.

In dieser Konzentration auf profane Handlungen, die den größten Schmerz auf Abstand halten, liegt eine Stärke dieses Films. Der genaue Blick von Autorin Schön und Regisseur Johannes Fabrick macht aus "Der letzte schöne Tag" nicht bloß einen weiteren Film über Tod und Abschied, der in ein Trauermeer abgleitet, sondern setzt den Schwerpunkt ganz bewusst auf scheinbar Banales, Bürokratisches, Nebensächliches. Lars verfällt in Aktionismus, bloß nicht rumsitzen und nachdenken. Er sucht den Sarg aus, bestellt das Grab. Trägt man eigentlich Unterwäsche im Sarg? Und was, um Himmels willen, ist eine Sterbeversicherung?

Schon mit dem Tod ist ein natürlicher Umgang kaum möglich, erst recht nicht mit einem Selbstmord, zeigt der Film. "Sybille war schon immer schwierig", sagt die Schwiegermutter. "Sie war krank, Seelenkrebs", versucht es Lars. Eine großartige Szene fängt den Smalltalk im Anschluss an die Beerdigung ein. Hektisch wird Suppe gelöffelt, Dampf weggepustet, um bloß nicht reden zu müssen. Ein Satz übers Wetter fällt, dann dieser: "Gut, dass sie sich nicht vor den Zug geworfen hat, das finde ich immer so grausam." Wotan Wilke Möhring ist beeindruckend als trauernder Familienvater, der stark sein will, ein Mann, ein guter Vater. Zupackend und hilflos zugleich, mit breiten Schultern zwar, aber mehr Last darauf, als er alleine tragen kann - so sah man ihn zuletzt im großartigen ARD-Drama "Homevideo", das im Oktober den Deutschen Fernsehpreis gewann.

"Seien Sie doch froh, dass Sie einen Abschiedsbrief bekommen haben", sagt Sybilles Arzt, "neun von zehn haben nicht das Glück." Was der eine als Glück empfindet, treibt den anderen um, lässt seine Schuldgefühle wachsen. Auch davon erzählt "Der letzte schöne Tag": Angesichts des Todes greifen keine allgemeingültigen Formeln. Es gibt kein richtiges und falsches Verhalten, wenn ein geliebter Mensch stirbt, kein Schmerz ist wie der andere.

Immer wieder huscht Koschitz' Sybille wie ein Schatten durch die Erinnerung der Lebenden. Sie schreibt in ihr Tagebuch, wie schlecht sie sich fühlt, sie streitet sich, lacht. Nicht aufdringlich wirken diese Rückblenden, sondern im Gegenteil zärtlich. Und vollkommen logisch sind sie auch. Denn wie soll man das verstehen, aushalten, dass jemand, dessen Geruch noch in den T-Shirts hängt, dessen Stimme vom Anrufbeantworter ins Wohnzimmer schallt, dass dieser jemand nicht mehr da ist. Und nicht mehr wiederkommt.

"Der letzte schöne Tag", heute, 20.15 Uhr, ARD