Der Essay-Band “Metamorphosen“ porträtiert Persönlichkeit und Werk Hamburger Künstlerinnen der letzten fünf Jahrzehnte

Hamburg. Im Jahr 1840 malteJohann Günther Gensler ein Gruppenporträt der Mitglieder des Hamburger Künstlervereins. Auf dem Bild, das heute in der Kunsthalle hängt, sind zehn würdige Herren versammelt, denen der Gedanke an eine Kollegin vermutlich höchst merkwürdig erschienen wäre.In der Hamburger Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts haben Frauen eine noch geringere Rolle gespielt als in anderen deutschen Metropolen. Erst nach 1890 konnten einige Künstlerinnenwie etwa Dorothea Maetzel-Johannsen (1886-1930) ihr Publikum finden. Aber auch im frühen 20. Jahrhundert, als immer mehr Frauen professionell künstlerisch tätig wurden, blieben sie in der Kunstszene weit unterprivilegiert.

1926 gründete die Lyrikerin Ida Dehmel, Ehefrau des Dichters Richard Dehmel, mit der "Gedok" in Hamburg zwar das noch heute bestehende älteste Netzwerk für Künstlerinnen aller Sparten in Europa; doch alle Bemühungen um eine gerechte Teilhabe wurden durch den Machtantritt der Nationalsozialisten zunächst zunichte gemacht. Doch auch in der jungen Bundesrepublik sprach man Frauen noch gern die Fähigkeit ab, eigenständig künstlerisch tätig zu werden. In der patriarchalischen Gesellschaft waren die Rollen klar verteilt: Statt Künstlerin sollten sie Hausfrau und Mutter sein.

Die mehrmalige Documenta-Teilnehmerin Anna Oppermann (1940 bis 1993) war Haufrau und Mutter. "Ihr Arbeitsplatz war die Küche. Ihre Stillleben baute sie auf dem Küchentisch auf; als Bezugspflanze, wie sie sie dann benannte, wählte sie mit unterschwelliger Ironie entsprechend der Enge ihres hausfraulichen Spielraums zum Beispiel Gurken und Tomaten oder Bohnen", schreibt die Kunsthistorikerin Ursula Meyer-Rogge in ihrem eben erschienenen Buch "Metamorphosen. Künstlerinnen in Hamburg mit Werken seit 1968". Dort porträtiert sie 41 Hamburger Künstlerinnen der letzten fünf Jahrzehnte in 35 Essays, stellt deren Positionen dar, zeichnet ihre Entwicklungen nach und macht zugleich deutlich, dass es einer gesellschaftlichenZäsur, eines Aufbruchs bedurfte, bevor es einigermaßen selbstverständlich werden konnte, dass sich Frauen in der Kunstszene behaupten. Ohne den gesellschaftlichen Umbruch der 68er-Revolte wäre es nicht gegangen. An den Werken von Anna Oppermann, Margrit Kahl und auch der weltberühmten, 2009 verstorbenen Konzeptkünstlerin Hanne Darboven werde klar, dass dieser Aufbruch nicht zaghaft sein konnte, sondern radikal sein musste, um überhaupt wahrgenommen zu werden.

Ursula Meyer-Rogge hat mit den meisten der porträtierten Künstlerinnen gesprochen, von denen einige an dem 1968er-Aufbruch beteiligt waren, während es für jüngere, wie zum Beispiel die 1970 geborene HfBK-Absolventin Judith Walgenbach oder die Mitglieder des virtuellen Netzwerks TheBeetoBee Net, längst selbstverständlich ist, als Frauen Teil der Kunstszene zu sein. Mit "Metamorphosen" schreibt Ursula Meyer-Rogge ein Stück Hamburger Kunstgeschichte bis in die unmittelbare Gegenwart fort und macht deutlich, wie spannend und vielfältig die Positionen vieler Hamburger Künstlerinnen sind - von manchen heute weitgehend vergessenen Werken bis hin zu den aktuellsten Tendenzen der sich ständig wandelnden Szene.

Ursula Meyer-Rogge: "Metamorphosen", Künstlerinnen in Hamburg mit Werken seit 1968, Dölling und Galitz, 224 S., 19,90 Euro