Jess Jochimsens zweistündiger Kabarett-Abend im Polittbüro ist vor allem eines: brillant

Hamburg. Gleich zu Beginn verweist er auf seine starke Erkältung, zwei Minuten später fegt er auch noch sein Wasserglas vom Tisch. Am Ende dankt Jess Jochimsen, 41, für die herzliche Aufnahme und fragt ins eher überschaubare Auditorium, ob man vielleicht noch ein Bier zusammen trinken könne? War doch so alles so nett hier. Das klingt, ja, man muss es so sagen, nach einem durchwachsenen Theaterabend, nach Laiennotizen aus der Provinz, bis hin zum Fremdschämen. Zumal er zwischendurch auch noch fragt, ob seine Verwandtschaft denn auch gekommen sei: "Ah, jetzt sehe ich euch in der zweiten Reihe. Bald feiern doch eure Eltern goldene Hochzeit, oder?"

Wie sehr indes sowohl der erste wie der letzte Eindruck täuschen kann, zeigte dieser Abend im Polittbüro am Steindamm. Denn dieser tiefenentspannte Jess Jochimsen, Kabarettist und Autor aus Freiburg, ist vor allem eines: brillant. Zwei Stunden entführt er seine Zuschauer in sein Wohnzimmer der Alltagsgeschichten. Jochimsen fabuliert über Gartencenter ("Was machen die eigentlich im Winter? Sind das verpuppte Baumärkte, die im Frühling schlüpfen?"), erspinnt eine wundervoll rabenschwarze Geschichte über eine riesige Straßenkehrmaschine, die Hunde aufsaugt, und spottet über den ach so spontanen TV-Hasser, der seinen Fernseher endlich zum Fenster hinausschmeißen will, aber an der dicken Kabelverbindung scheitert.

Zwischendurch zeigt Jochimsen, Stammgästen des "Scheibenwischers" und des "Quatsch Comedy Clubs" aus gelegentlichen Auftritten vertraut, Dias. "Bilder meiner Streifzüge durch Gewerbepark-Landschaften", nennt er seine faszinierende Foto-Melange. Auf der Leinwand des Polittbüros, einst ja ein Kino, wird ein deutsches Skurrilitätenkabinett lebendig - von der Lkw-Aufschrift "Schwiegervater Entsorgung" bis zum Laden-Schriftzug "Fachhandel für Senioren, Behinderte, Linkshänder".

Richtig gut Musik machen kann dieser Jochimsen übrigens auch noch, am Akkordeon und an der Gitarre. Mit unverkennbar bayerischem Dialekt verspottet der gebürtige Münchner den Gen-Experten Thilo Sarrazin und singt seinen Depressions-Blues.

Bevor er sein neues Buch "Was sollen die Leute denken" noch feilbietet ("Neun Exemplare habe ich mitgebracht, mehr ging nicht"), will Jochimsen noch wissen: "Habt ihr noch Fragen?" Eine hätten wir in der Tat nach diesem wunderbaren Abend: Wieso füllen eigentlich Dampfhammer-Humoristen wie Mario Barth große Hallen, während dieser Feingeist seine Werke aus dem Reisekoffer verkaufen muss? Aber vielleicht lebt Jess Jochimsen in seinem Wohnzimmer der Alltäglichkeiten viel glücklicher als der Barth in seinen Arenen. Beim nächsten Mal gehen wir einfach mal mit auf ein, zwei Bier. Und fragen ihn. Versprochen.