Der Schauspielhaus-Spielbetrieb ist wegen Umbau eingeschränkt, ein Millionenminus bleibt. Im Malersaal hat “Leben und Erben“ Premiere.

Hamburg. Die heutige Uraufführung von Oliver Klucks "Leben und Erben" im Malersaal gibt in doppeltem Sinn die Richtung für das Programm der kommenden Saison im Schauspielhaus vor. Der Spielbetrieb im Malersaal und im großen Haus wird durch die Renovierung von Ober- und Untermaschinerie eingeschränkt sein. Deshalb setzen die Interimsintendanten Jack Kurfess und Florian Vogel im Spielplan für 2012/13 einen Schwerpunkt mit Auftragswerken und Gegenwartsdramatik. Kluck wird noch ein weiteres Stück für das Schauspielhaus schreiben, auch René Pollesch und Albert Ostermaier haben Aufträge erhalten. Der Münchner Ostermaier wird den Nathan-Stoff bearbeiten und erstmals auch inszenieren. Mit Dominique Horwitz in der Hauptrolle.

Es geht dem Leitungsduo vor allem darum, das Theater möglicht gut am "Leben", am Überleben zu halten in der Sondersituation mit einer Spielfläche über den Parkettreihen und nur 600 Sitzen auf den zwei Rängen. "Die Spitzenzahlen in Besuch und Einnahmen der vergangenen Krisenspielzeit 2010/11 werden wir nicht erreichen können", sagt der geschäftsführende Intendant Jack Kurfess. Und die aus sechs Jahren Schirmer-Intendanz "geerbten" Schulden von rund einer Million Euro seien unter diesen Bedingungen nicht mehr abzubauen, kalkuliert Kurfess.

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Seine designierte Nachfolgerin Karin Beier und ihren Geschäftsführer Peter Raddatz soll das Minus beim Start in der Spielzeit 2013/14 allerdings nicht beeinträchtigen. Karin Beier, derzeit noch Intendantin des Kölner Schauspiels, hat sich bei Vertragsabschluss ein entschuldetes Haus zusichern lassen, wie die Kulturbehörde bestätigt. Das Vertragswerk wurde vom Senat abgesegnet, also steht er auch im Wort, erklärt Behördensprecher Enno Isermann. "Die Kulturbehörde hält sich auch daran, muss aber die Ausgleichssumme in den Haushaltsverhandlungen für 2013/14 natürlich noch durchsetzen." Zudem bekommt Beier rückwirkend einen Ausgleich der Tariferhöhungen um 100 Prozent und eine Million Euro für den Malersaal, den das Junge Schauspielhaus räumt.

Die Schuldenmillion hat sich über die Jahre angehäuft, erklärt Kurfess. Sie entstand durch einen Vorgriff von Schirmer auf die Subvention mit dem Versprechen, die Schuld abzutragen, was auch teilweise gelungen sei. "Es gab immer ein Auf und Ab zwischen Plus und Minus zum Ende der Spielzeiten, was zeigt, dass wir finanziell an der Grenze des Möglichen arbeiten", betont Kurfess. "Die Auflage, die Einnahmen zu steigern, haben wir hingekriegt, aber auf der Ausgabenseite konnten wir noch immer nicht genügend sparen." Die den Staatstheatern verordneten Kürzungen (Schauspielhaus 330 000 Euro) kamen dazu und der bis jetzt nur 75-prozentige Ausgleich bei den Tariferhöhungen.

Trotz der stürmischen letzten Spielzeit (mit dem Rücktritt Schirmers und den dramatischen Kürzungsandrohungen) konnte das Schauspielhaus - auch durch die Solidarität der Hamburger - das in den letzten 17 Jahren zweitbeste Ergebnis bei den Einnahmen und Zuschauern erzielen. Mit der Sommerbespielung und allen Nebenspielorten waren 259 851 Besucher zu verzeichnen. Zu den eigenen Inszenierungen im großen Haus und im Malersaal kamen 201 000 Zuschauer, der Erlös betrug 2 371 410 Millionen Euro.

"Das war ein Hammerjahr", bilanziert Kurfess. Einerseits finanzieller Erfolg, andererseits drastische Einschnitte. Statt der 18,6 Millionen im Kostenvoranschlag zur Erneuerung der Ober- und Untermaschinerie bewilligte der Senat nur 16,5 Millionen Euro. "Wir mussten substanzielle Abstriche machen." Die drei Hubpodien in der Drehscheibe werden nun durch mobile Versenkungen ersetzt, die Anzahl und Breite der Züge wird vermindert, das geplante Prospektlager ist gestrichen. Bevor der Umbau Ende Mai beginnt, gibt es im großen Haus noch drei Premieren: "Der große Gatsby", die Neuauflage von "Phoenix" nach dem Strunk-Bestseller "Fleisch ist mein Gemüse" und die Volksbühnen-Koproduktion von René Polleschs "Die Kunst war viel populärer als ihr noch keine Künstler wart!" Im Rangfoyer spielt Hedi Kriegeskotte den Kroetz-Monolog "Wunschkonzert".

Von den Problemen mit Häusern und Geld und dem Erbe, das die Alten den Jungen verweigern, hinterlassen oder einfach überlassen, handelt auch Oliver Klucks neuer Text. Von einem Stück will der erfolgreiche, mit dem Kleist-Förderpreis 2010 und dem BDI-Dramatikerpreis 2011 ausgezeichnete Autor, der sich eigentlich als Prosa-Schriftsteller begreift, nicht sprechen.

Er (be)schreibt literarische Figuren und nicht im üblichen Sinn dramatische Figuren, die nichts mit realen Personen zu tun hätten, wie Kluck erklärt. "Auch wenn sie Namen wie Haider oder Maschmeyer tragen, sind das nur Namen, ich bilde niemals Leute aus der Wirklichkeit ab." Abstraktion, Allegorie und Überhöhung nennt Kluck die Prinzipien seines Schreibens. "Was entsteht, bleibt Versuch, Skizze und Provisorium."

Nicht gerade leichter Stoff für die Schauspieler und Regisseure. Das Schauspielhaus brachte bereits als Koproduktion mit den Ruhrfestspielen "Warteraum Zukunft" in der Regie von Alice Buddeberg erfolgreich heraus. Im Gegensatz zur in Klucks Augen glücklich verlaufenen Inszenierung gab es im Vorfeld von "Leben und Erben" einige Missverständnisse und Querelen. Kluck wehrt sich vehement gegen die Ankündigung eines Hamburg-Stücks. "Ich habe nicht über Hamburg geschrieben, das Wort kommt in meinem Text überhaupt nicht vor", sagt er.

Allerdings könnten sich Assoziationen zu Hamburg einstellen beim Thema Hausbesetzung und Revolte, das Kluck auf seine Weise behandelt, ohne es je direkt zu verorten. Vielmehr gehe es in "Leben und Erben" um Fragen der Gerechtigkeit, um die Angst, die Gier und Verzweiflung: "Die, die uns heute erklären, was Leben ist, werden morgen und übermorgen ihre Erklärung von uns bekommen. Leben und Erben in doppeltem Sinn."

"Leben und Erben" Uraufführung, 7.1., 20 Uhr, Malersaal im Schauspielhaus, Premiere ausverkauft, weitere Vorstellungen 10. u. 15.1., 20.00, Karten unter Telefon 24 78 13; www.schauspielhaus.de