Die DVD-Box zur Geschichte des deutschen Animationsfilms ist so prall wie informativ

Animationsfilme sind etwas für Kinder? Das ist ein von den frühen Disney-Filmen geprägtes Klischee und außerdem falsch. Welche Vielfalt man seit den 20er-Jahren bis in die unmittelbare Gegenwart dort finden kann, zeigt die Box "Geschichte des deutschen Animationsfilms", in der man auf sechs DVDs 101 Filme aus den Jahren 1909 bis 2006 findet. Die Palette reicht von singenden Kühen übers fluchende HB-Männchen bis zu schweigsam um ihre Existenz ringenden Puppen. Ausgewählt und kenntnisreich kommentiert hat sie Ulrich Wegenast, der Leiter des renommierten Stuttgarter Trickfilmfestivals.

Schon in der Weimarer Republik experimentierten Künstler mit dem Trickfilm. Weltruhm errang Lotte Reiniger mit ihrem ersten animierten Silhouetten-Langfilm "Die Abenteuer des Prinzen Ahmed". Hier ist sie mit der Scherenschnitt-Animation "Carmen" vertreten.

Die singenden Kühe stammen aus dem Werbespot "Am Busen der Natur", mit dem Hans Fischerkoesen 1951 die Vorzüge der Milch anpries. Er arbeitete in diesem Medium schon in der Weimarer Republik, dann in der Nazizeit und konnte seine Karriere in der Bundesrepublik fortsetzen. Die musikalischen Rindviecher trällern naiv-zeitgeistig vor sich hin. Warum sollte es im Animationsfilm in der Wirtschaftswunderzeit auch anders zugehen als im Spielfilm?

Schon an diesem Beispiel wird deutlich, wie sehr die kleinen Filme den Stand der Kunst, aber auch die Mentalität und Sozialgeschichte Deutschlands widerspiegeln.

Eine Werbe-Ikone aus dieser Zeit ist auch das HB-Männchen. Der cholerische Kerl hat die Menschen immerhin 27 Jahre lang zum Rauchen verführt, er galt als "erster wirklicher Star des aufkommenden Werbefernsehens", den Ende der 60er-Jahre 96 Prozent der Fernsehzuschauer kannten. Dass er ursprünglich Bruno hieß, ist fast schon in Vergessenheit geraten. Erfolg stellte sich mit Zeichentrickfiguren gerne ein, die Hamburger Zwillinge Christoph und Wolfgang Lauenstein konnten mit ihrem Puppentrickfilm "Balance" 1990 sogar bei den Academy Awards einen Oscar gewinnen. Habgier lässt ihre namenlosen Wesen auf einer sich neigenden Scheibe elf Minuten lang um einen Koffer kämpfen, am Ende vergeblich.

Dass Daniel Nocke, Drehbuch-Dauerpartner des Regisseurs Stefan Krohmer, auch ein famoser Trickfilmer ist, sieht man an seiner Figuren-Animation "Die Trösterkiste" aus dem Jahr 1999.

Experimentelle Filme, Animation in der Nazizeit und der DDR, Werbung aus der Bundesrepublik und der DDR, die Musikvideos der Toten Hosen zu "10 kleine Jägermeister" und von Wir sind Helden zu "Von hier an blind" - die Box lässt keine Wünsche offen. Wer sich sämtliche DVDs mit ihren zwölfeinhalb Stunden Spieldauer ansieht und dazu die Texte der Booklets liest, wird sich danach zum Thema deutscher Animationsfilm kaum noch etwas vormachen lassen.

Geschichte des deutschen Animationsfilms Absolut Medien, 6 DVDs, 753 Min.