Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, registriert in der Finanzkrise zunehmend mehr Sprachkurse

Berlin. Angesichts der Finanzkrise hat der Präsident des Goethe-Instituts, Klaus-Dieter Lehmann, vor einem Vertrauensverlust der Bürger in Europa gewarnt. "Die jetzige Situation ist sehr stark geprägt durch fiskalisches Denken und Sachzwänge, denen wir angeblich ausgeliefert sind. Das ist verhängnisvoll", sagte Lehmann in Berlin. "Der Bürger bekommt zunehmend das Gefühl, demokratische Teilhabe sei nicht mehr gefragt, und zieht sich zurück."

Zugleich machen sich nach Beobachtung Lehmanns zumindest in einigen europäischen Ländern wieder alte Ängste vor einer deutschen Dominanz bemerkbar. "Wenn es der Politik nicht gelungen ist, rechtzeitig die Weichen vernünftig zu stellen, sucht man jemanden, dem man den Schwarzen Peter zuschieben kann." Lehmann verwies auf das Beispiel Griechenland. Im Gespräch mit Mandatsträgern dort spüre man eine zunehmende Antipathie gegenüber Deutschland. "Da wird plötzlich sehr schnell auf die Nazi-Vergangenheit verwiesen und auf eine fehlende Wiedergutmachung, die eigentlich das ganze Desaster verursacht habe", sagt er.

"Einen solchen Zusammenhang herzustellen ist natürlich Unsinn. Er bedient alte Klischees, die ablenken sollen von eigenen Versäumnissen. Wir waren schon viel weiter in unseren Beziehungen, etwa bei der Unterstützung Deutschlands zur Ablösung der griechischen Militärdiktatur." Jetzt gehe es darum, was Griechenland ändern wolle und wie dabei geholfen werden könne.

Laut Lehmanns hat Europa gute Chancen, wenn es sich wieder stärker auf seine gemeinsamen kulturellen Werte besinnt. "Unsere große Tradition ist ja, dass wir über die Emanzipation, über den Diskurs, über das Individuum unsere Freiheit gefunden haben. Daran sollte man festhalten. Insofern muss sich Europa wirklich zu einem ,Bürgereuropa' entwickeln. Ich glaube, dass die Wirtschaftskrise nicht zuletzt Folge einer Kultur- und Wertekrise ist."

Das Goethe-Institut will diesen Prozess auf verschiedenen Ebenen unterstützen. So soll einerseits bei den weltweit mehr als 5000 Kulturprojekten im Jahr noch mehr auf Dialog, Austausch und gegenseitiges Verständnis gesetzt werden. Zudem soll die wachsende Nachfrage nach Deutschkursen auch dazu genutzt werden, kulturelle Werte zu vermitteln. Allein in Portugal und Italien stieg die Zahl der Sprachschüler im vergangenen Jahr um 60 Prozent, in Spanien um 70 Prozent.

"Das sind vor allem junge Leute, die im eigenen Land wegen der enormen Arbeitslosigkeit derzeit keine Chance sehen", sagte Lehmann. "Sie lernen die deutsche Sprache nicht, weil sie Goethe und Schiller im Original lesen möchten, sondern weil sie im Beruf weiterkommen wollen. Diese jungen Menschen sind für Europa enorm wichtig, weil es keine Europa-Skeptiker sind."

Zweiter wichtiger Schwerpunkt der Goethe-Arbeit sollen im kommenden Jahr die Umbruchländer des Nahen Ostens bleiben. "Wir erleben jetzt zum Teil eine Rückwärtsbewegung, aber gerade deshalb dürfen wir nicht die Flinte ins Korn werfen", sagte der Präsident. Viele tragende Figuren des arabischen Frühlings seien junge Leute aus der Kunst- und Kulturszene gewesen.

Als Vertreter einer "verlorenen Generation" hätten sie die Revolution auf den Weg gebracht, nachher aber nicht die Strukturen gehabt, ihre Ideen an die Bevölkerung weiterzugeben. "Hier wollen wir zivilgesellschaftlich wirken - zeigen, wie man Ideen durch geeignete Infrastrukturen verbreiten kann", sagte Lehmann. "Andernfalls werden auf Dauer Islamisten oder gar Fundamentalisten größere Chancen haben."

Das Goethe-Institut ist in 93 Ländern der Welt vertreten. 2011 nahmen rund 217 000 Menschen an den Sprachkursen teil, 30 Millionen kamen zu den Kulturveranstaltungen.