Hamburger Symphoniker brachen aus der Silvesterroutine aus

Hamburg. Glaubt man den Worten des Intendanten Daniel Kühnel, so war der doppelte Schlusspunkt zum doppelten Mahlerjahr 2010/11, den die Hamburger Symphoniker jetzt mit ihrem Silvester- und dem Neujahrskonzert setzten, zugleich eine Jahrhundertpremiere. In der Laeiszhalle sei Mahlers Fassung von Beethovens Neunter noch nie gespielt worden, eröffnete Kühnel dem voll besetzten Saal in einem Grußwort vor dem Konzert. Selbst die Vorfahren in dieser Stadt hätten sie nur ein einziges Mal gehört: am 11. März 1895 unter Mahlers Leitung.

Die Vermutung liegt nahe, dass in der schnell erzählten Aufführungsgeschichte - Mahler dirigierte seine Fassung zwischen 1886 und 1910 insgesamt nur zehnmal, im Konzertkalender blieb sie eine Rarität - ein negatives Urteil der Musikwelt über die Güte seiner Retuschen an der Partitur mitschwingt; zu fett, zu fern dem halb apollinischen, halb titanischen Beethoven-Bild. Ungeachtet der teils vernichtenden Worte zeitgenössischer Kritiker sah Mahler selbst sich freilich als Vollender beethovenscher Absichten, als Verwirklicher eines Klangbilds, das sein ertaubtes Idol mit dem ihm damals zur Verfügung stehenden Orchesterapparat noch nicht realisieren konnte.

Die Trouvaille zum Jahreswechsel, angeregt durch den die Festkonzerte dirigierenden Komponisten Peter Ruzicka, bot teilweise gewaltige Klangfülle, manche überraschende melodische Konturierungen, ein kleines Schattenorchester im Finalsatz und die zwischenzeitliche Wanderbewegung des Solo-Tenors Peter Galliard vom Bühnenrand nach hinten zum Carl-Philipp-Emanuel-Bach-Chor, von wo aus er unziemlich laut über das Orchester hinwegsingen musste, um sich Gehör zu verschaffen. Ruzicka hielt die Fäden mit Umsicht und großer Disposition beisammen, doch die Symphoniker machten nicht rundum glücklich. Insbesondere die lange exponierte Passage in der Bassgruppe im vierten Satz kam vom Gestus her zögerlich und teilweise recht breit intoniert. Gerade derart trivialisierte Musik ("Freude, schöner Götterfunken") will man so hören, als sei sie der erste Schnee vom neuen Jahr.

Unvergesslich dafür, mit welcher Verve Franz Grundheber aufsprang, um endlich sein "O Freunde, nicht diese Töne" in den Saal hineinzurufen. Große Oper, für eine Sekunde. Das Solistenquartett mit Claudia Barainsky (Sopran) und Ulrike Helzel (Alt) hielt sich in der Klangwolke des kompaniestark besetzten Orchesters tapfer.