Richard Price hat mit “Cash“ eine furiose Geschichte über ein New Yorker Viertel geschrieben - und nebenbei ein Sittengemälde.

Es riecht nach erkalteten Pizzaresten, nach Schweiß und abgestandenem Rauch, der Alkohol verdunstet nur in Zeitlupengeschwindigkeit. Gelegenheitsobdachlose, Gangmitglieder, Kiezratten und Möchtegernhelden schieben ihre trägen Körper über die Straßen, und es ist an Detective Matty Clark und seinen Kollegen, die Kontrolle über Manhattans Lower Eastside zu behalten. "Cash", der viel gelobte Kriminalroman von Richard Price, der sich hartnäckig auf der "Spiegel"-Bestsellerliste hält, ist kein New-York-Roman im herkömmlichen Sinne, der da meint: Künstlerboheme, Intellektuellenszene, Penthouse-Lofts. Und doch ist er in seiner Direktheit und grellen Rohheit einer der wahrhaftigsten Romane der letzten Zeit.

Vordergründig erzählt Price die Geschichte einer Handvoll Polizisten, die den Mord auf einer Straße an einem Barkeeper untersuchen. In Wahrheit malt er ein apokalyptisches Bild von der Metropole, dechiffriert sie als eine Art brodelnder Hexenkessel, der die Protagonisten zu verschlingen droht. Die Demografie des Viertels ist im Umbruch - Stichwort Gentrifizierung -, multiple Welten stoßen aufeinander, gesellschaftliche Kosmen kollidieren. Klar, dass dabei allerhand Staub aufgewirbelt wird. Dieser Koexistenz, diesem Nebeneinander zweier grundverschiedener Welten - sozial schwache Siedlungsbewohner und hippe Nachtschwärmer -, gilt das Interesse des 60-jährigen Price, der seine Kindheit in der Bronx zubrachte.

Seit 25 Jahren arbeitet er erfolgreich als Drehbuchautor, hat die Bücher für Filme wie Martin Scorseses "Die Farbe des Geldes", Spike Lees "Clockers" und die legendäre US-Fernsehserie "The Wire" geschrieben. Mit Letzterer hat "Cash" die allerorts als realistisch gerühmte Sprache gemeinsam, die mehr hingerotzten als gesprochenen Satzfetzen, den umgangssprachlichen Ton, die unfrisierten Dialoge.

Vielmehr handelt es sich hierbei aber um einen streng komponierten, artifiziellen Stil, der seinen vermeintlichen Realismus vor allem der Detailfülle der jeweiligen Beschreibungen und der haargenauen Charakterisierungskunst des Autors verdankt. Er setzt Figuren ins Bild, die man so bald nicht mehr vergisst. Angefangen bei Matty Clark, dem arbeitsmüden leitenden Detective mit dem undurchdringlichen Blick, dem Seelsorger, Sündenbock und Überbringer schlechter Nachrichten in Personalunion. An seiner Seite ermittelt Yolanda, die jenes mitleidslose Mitleid in den Augen trägt, das daher rührt, mit den Jahren alles nur Erdenkliche an Schlechtigkeiten und Elend gesehen zu haben. Und dann ist da noch der merkwürdige titelgebende Eric Cash (denn mit Finanzen, wie man vielleicht denken könnte, hat der Roman nun überhaupt nichts am Hut).

Cash, der von einem Leben als Schriftsteller träumt und gleichsam arrogant wie sensibel daherkommt. Er kokst und klaut, und wenn er gerade nicht lügt, dann sagt er längst noch nicht die Wahrheit. Nicht zu vergessen das Opfer, der Barkeeper Ike Marcus, der es mit seinen letzten vier Worten auf die Titelseite der Zeitungen geschafft hat: Heute nicht, mein Freund.

Price hat den geschärften Blick, das übergenaue Ohr, das nötig ist, den Sound der Straße einzufangen - nicht umsonst trägt er den inoffiziellen Ehrentitel des "Meisters des urbanen Thrillers". Er beschreibt die Zustände im Kleinen, die zu engen, überteuerten Hochhauswohnungen, in denen der Putz von den Wänden blättert und das Linoleum an den Schuhsohlen klebt - und landet schließlich bei den Zusammenhängen im Großen: einem zeitgenössischen Sittenbild der Stadt New York und der amerikanischen Gesellschaft, wie es Jonathan Franzen in seinen berühmten "Korrekturen" nicht eindrucksvoller vorgemacht hat.

"Cash" strebt nicht stramm geradeaus wie so mancher Kriminalroman; er tänzelt, er macht Ausfallschritte, schlägt Haken - um dann wieder auf Los zurückzugehen. Spannung entsteht nicht in der Suche nach dem Mörder, den der Leser sehr bald kennt. Es sind keine vorwärtsstrebenden, sondern vielmehr schleppende, irreführende, sich im Kreis drehende Ermittlungen. Überhaupt sind das Aufregende weniger die Ereignisse selbst als das Zusammenspiel der einzelnen Bewegungen. Wie ein Mosaik setzt Price den ganz speziellen Sound, die DNA des Viertels zusammen. Wenn sie sich auf einen Punkt bringen lässt, dann vielleicht auf diesen: Die Würfel sind gefallen, bevor das Spiel des Lebens überhaupt begonnen hat.

Richard Price : Cash, S. Fischer Verlag, 528 Seiten, 19,95 Euro