Der einzige portugiesische Literaturnobelpreisträger, José Saramago, starb im Alter von 87 Jahren auf Lanzarote.

Hamburg. Literarisch war er Autodidakt. Und er wurde der einzige Literaturnobelpreisträger seiner Sprache: Der Portugiese José Saramago, ein Meister des eleganten, variantereichen Bandwurmgedankens und der barock anmutenden Sprache. 1998 hatte er den Literaturnobelpreis erhalten. In seiner damaligen Dankesrede verbeugte er sich vor seinem Großvater, der weder lesen noch schreiben konnte, den er aber als den weisesten Menschen bezeichnete, den er je gekannt hatte.

In der Würdigung des Nobelkomitees hieß es, der Schriftsteller mache mit Gleichnissen, getragen von Fantasie, Mitgefühl und Ironie, ständig aufs Neue eine entfliehende Wirklichkeit greifbar. In seinen Büchern reißt sich etwa die iberische Halbinsel von Europa los und driftet in den Atlantik, oder Jesus Christus geht einen anderen Weg und lebt mit Maria Magdalena, statt sich ans Kreuz nageln zu lassen. Saramago thematisierte auch immer wieder den Kampf von Einzelnen gegen Institutionen, gegen Autoritäten.

Seine Romane, die in mehr als 25 Sprachen übersetzt sind, zeichnen oft ein pessimistisches Weltbild, seine Figuren haben meist keine Namen, Gesichter, Biografien. Gefangenschaft und Ausweglosigkeit zählen bei Saramago zu den Grunderfahrungen unserer Zeit. Als er einmal nach dem Grund für sein ewig düsteres Weltbild gefragt wurde, antwortete er mit derselben Ironie, die sich in vielen seiner Bücher findet: "Ich bin kein Pessimist, sondern bloß ein gut informierter Optimist." Doch dann wurde er ernst. "Wir stecken alle in der Scheiße. Optimist kann eigentlich nur sein, wer gefühllos, dumm oder Millionär ist." Am Freitag ist der überzeugte Kommunist, Atheist und bis zuletzt ungemein produktive Schriftsteller im Alter von 87 Jahren auf der spanischen Kanaren-Insel Lanzarote gestorben.

Saramago erwies sich oft als sperrig im Stil, als Querdenker gegen den Strom und als Mahner. 1992 zog er nach einem Zerwürfnis mit der Regierung in Lissabon auf die Kanaren. Politisch unbequem und umstritten blieb er bis zum Schluss. Seine Beschreibung der Bibel als "Handbuch der schlechten Sitten" sorgte ebenso für Entrüstung wie sein Vergleich der Lage im von Israel besetzten Westjordanland mit dem Vernichtungslager Auschwitz. Seit 2008 hatte er einen Blog, in dem er seine wachsende Abneigung gegen das Weltgeschehen äußerte, "wo Millionen Menschen geboren werden, um zu leiden, ohne dass es irgendjemanden interessiert".

Saramago wurde 1922 nahe Lissabon als Sohn eines Landarbeiters und späteren Polizisten geboren. Wegen der Geldnöte seiner Familie musste er als 12-Jähriger die Schule verlassen, wurde Maschinenschlosser und arbeitete später als technischer Zeichner, Angestellter in der Sozialbehörde, in einem Verlag und als Journalist. Erst mit etwa 40 Jahren fand er zur Schriftstellerei. Eine Geschichte aus seiner Jugend hat er anlässlich einer Preisverleihung erzählt und aufgeschrieben. Als der Junge aus einfachen Verhältnissen in eine neue Schule und dort in die zweite Klasse kam, setzte ihn die Lehrerin zu den schlechtesten Schülern, den besten direkt gegenüber, an denen sie sich ein Beispiel nehmen sollten. Doch als nach wenigen Tagen das erste Diktat anstand, schrieb der Neue von den billigen Plätzen in einer schönen, runden Schrift und machte einen einzigen Fehler: "calsse", statt "classe". Die Lehrerin reagierte sofort. Sie wies den Neuen an, sich auf den Platz des Klassenbesten zu setzen, der Klassenbeste war es nicht mehr. "Wenn ich es mir recht überlege", schreibt Saramago, "begann an diesem Tag mein Leben".

1966 erschien unter dem Titel "Os poemas possíveis" (Die möglichen Gedichte) sein erstes Buch. Der internationale Durchbruch gelang ihm erst kurz vor dem Erreichen seines 60. Lebensjahres mit Romanen wie "Hoffnung im Alentejo" (1980), "Das Memorial" (1982) oder "Das Todesjahr des Ricardo Reis" (1984). 1995 kam sein wohl berühmtester Roman heraus, "Stadt der Blinden", der von Fernando Mireilles mit Julianne Moore verfilmt wurde. Darin beschreibt er die Welt ohne Bilder, ein plötzliches Nicht-Mehr-Sehen-Können, einen Sturz ins Nichts. Zusammengefasst hat Saramago seinen Roman einmal so: "Wir leben mit dem alltäglichen Horror, haben alle gelernt, wegzuschauen." Auf die Frage, ob ihm die Rolle des ewigen Provokateurs nicht manchmal zu anstrengend sei, hatte der damals 85-Jährige einmal geantwortet: "Ach was, ich hab ein dickes Fell." Sich selbst schilderte Saramago einst so: "Ich bin skeptisch, zurückhaltend, ich bin nicht überschwänglich, spaziere rum und umarme Leute oder versuche, es allen recht zu machen."

Erst kürzlich war bekannt geworden, dass Saramago seinen deutschen Verlag gewechselt hatte. Auch beim Harbour Front Literaturfest im September hätte Saramago in Hamburg dabei sein sollen. Sein neuer Roman, "Die Reise des Elefanten", wird am 25. Juni beim Hoffmann und Campe Verlag erscheinen. Darin erzählt er auf Grundlage historischer Tatsachen meisterhaft die Geschichte des Elefanten Salomon, der im 16. Jahrhundert von Lissabon an den Wiener Hof gebracht wurde. Anfang Juli wird der Verlag Saramagos Tagebuch publizieren, dessen Veröffentlichung international bereits für Aufsehen sorgte, als es der Autor in seinem Blog schrieb. Im Herbst 2011 wird ein weiterer Roman Saramagos, "Kain", in deutscher Sprache veröffentlicht.