Sir Simon Rattle, die Berliner Philharmoniker und Wynton Marsalis' Band überzeugen gemeinsam auf einer Bühne.

Berlin. Wenn Symphonieorchester einmal alle Jubeljahre auf Jazz machen sollen, ist schnell Fremdschämen angesagt. Dann müht sich ein Schlagzeuger rechtschaffen, den Rest des klassisch ausgebildeten Ladens mitzuziehen, während Dutzende von Kollegen verzweifelt versuchen, sich locker zu machen, aber doch nur an den ungewohnt verrutschten Noten auf dem Pult kleben. Swing ist nun wirklich nicht ihr Ding, denkt man und hofft inständig, dass es bitte schnell enden möge.

Das geht aber auch anders. Allerdings erst, wenn man ein konsequent verjüngtes und auf Horizonterweiterung neugieriges All-Star-Ensemble wie die Berliner Philharmoniker mit den ausgebufften Profis des New Yorker Jazz at Lincoln Center Orchestra (JALC) und ihrem Spiritus Rector Wynton Marsalis gemeinsam auf eine Bühne bringen kann.

Also praktisch so gut wie nie.

Doch genau diese "Bigger Big Band" gönnte sich in der zweimal ausverkauften Berliner Philharmonie den luxuriösen Spaß einer Jazzgeschichtsstunde mit allem Drum und Dran: Auftragskomposition, Uraufführung, Hausherr Simon Rattle selbst am Pult - und Marsalis, der Trompeten-Star mit Kompositions-Pulitzerpreis, mit seinen Soli leider ziemlich geizend, inmitten seiner Trompeterkollegen. Mal eben so, in einem ganz normalen Abo-Konzert-Programm, nur zwei Zugstunden und doch noch Welten vom jetzigen Hamburger Angebotsniveau entfernt. Aber das nur als hoffnungsvolle Randbemerkung aus hiesiger Perspektive.

Mit "Swing Symphony" wollte der gern als wertkonservativ etikettierte Jazzer aus New Orleans nichts weniger als einen weiteren großorchestralen Schnellkursus in Traditionsbewusstsein verabreichen, in sechs Sätzen, beginnend bei den Second-Line-Rhythmen seiner Heimatstadt und dann so weit, wie es seiner Meinung nach notwendig ist. Also gerade mal bis in die Nähe der Freejazz-Schallgrenze, hinter der für Marsalis nach wie vor ästhetisches Niemandsland von eher zweifelhaftem Ruf beginnt.

Nachdem die Berliner den Saal mit einer raffinierten Interpretation von Strawinskys "Petruschka" vorglühten - großartig hingeschlenzte Trompeten- und Flöten-Soli, wunderbare Klangfarben - und so ihre klassische Klasse bewiesen hatten, begann der Trip down Memory Lane mit einem unwiderstehlich groovenden Trommelrhythmus.

Marsalis arbeitete sich durch die Ahnengalerie, ließ Akkordfolgen von Standards wie "Body And Soul" umspielen und jonglierte als Arrangeur gekonnt mit den gut abgehangenen Stilmitteln seiner Idole. Gut erzogen kam das daher, sauber ausgeführt von Qualitätsarbeitern, die in ihren dunklen Anzügen hinter ihren Pulten ganz bewusst so inszeniert wurden, als wären sie genauso klassisch wie ihre Kollegen aus der Opus-Abteilung.

Der didaktische Volkshochschul-Beigeschmack, den so etwas bekommen kann, wurde aber schnell unwichtig, weil man erleben durfte, mit welcher Selbstverständlichkeit und Brillanz dieses genreübergreifende Orchester um- und mitdachte. Rasend schnelle Bebop-Phrasen, treffsicher von den Geigern rausgehauen; Basslinien, bei denen die Mitglieder der Kontrabass-Gruppe vor Freude zu glucksen schienen; vertrackte Bläsersätze, bei denen das Timing stimmte und nicht hüftsteif daherkam; Latin-Rhythmen, bei denen nicht das reichlich vorhandene jüngere Publikum begeistert in den Sitzen wippte. Hier hatten eine Menge erstklassiger Musiker eine Menge Spaß an- und miteinander. "Wir wollten nicht das Normale tun", hatte Rattle einige Stunden vor dieser Premiere erklärt.

In der Zugabe, Charlie Parkers Klassiker "Now's The Time", ließ die Marsalis-Crew aus New York auch noch einige Chorusse Platz für ganz und gar unpeinliche Solo-Einlagen eines philharmonischen Bratschers und eines philharmonischen Hornisten. Normal ist so was nicht. Schade eigentlich.

Das Konzert ist ab dem Wochenende in der Digital Concert Hall des Orchesters kostenpflichtig unter www.berliner-philharmoniker.de abrufbar.